
DJ EZB/Schnabel: Geldpolitik trotz Ukraine-Krieg normalisieren
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte ihre Geldpolitik nach Aussage von EZB-Direktorin Isabel Schnabel trotz der wachstumsdämpfenden Wirkung des russischen Kriegs gegen die Ukraine normalisieren. In einem Workshop von European House - Ambrosetti begründete Schnabel diese Forderung mit der Einschätzung, dass die Inflation mittelfristig über 2 Prozent zu bleiben drohe, weil der Krieg die private Nachfrage voraussichtlich nicht deutlich genug schwächen werde, um die Inflation ausreichend zu bremsen.
"Aus heutiger Sicht ist es ungewiss, ob und in welchem Umfang die Belastung der privaten Nachfrage die mittelfristige Inflation vermindern wird. Nach Ansicht der Finanzmarktteilnehmer ist die Fähigkeit der Wirtschaft, mittel- bis langfristig eine Inflation im Einklang mit unserem Ziel zu erzeugen, nach wie vor robust", sagte Schnabel laut veröffentlichtem Redetext.
Es sei vielmehr zu beobachten, dass die Anleger eine steigende Entschädigung für das Risiko verlangten, dass die mittelfristige Inflation höher ausfalle als derzeit erwartet, was die Inflations-Swap-Sätze über diese Zeiträume deutlich über das EZB-Ziel von 2 Prozent hebe und damit zum Anstieg der Nominalzinsen beitrage.
Schnabel nannte zu ihren Thesen hinsichtlich Inflation und Wachstum folgende Punkte:
1. Preisdruck auch nachfragebasiert
Eine Analyse des Internationalen Währungsfonds (IWF) zeige, dass die Erzeugerpreisinflation im Euroraum auch ohne Angebotsschocks auf einem Niveau nahe den historischen Höchstständen liegen würde. Es bleibe also auch nach dem Ende der Angebotsschocks (Krieg, Lieferkettenprobleme) viel Preisdruck in der Pipeline.
2. Globalisierung, Energiewende
Die europäischen Regierungen seien nach dem russischen Überfall auf die Ukraine bestrebt, ihre Abhängigkeit von globalen Wertschöpfungsketten in strategisch wichtigen Bereichen wie dem Halbleiter- oder Pharmasektor zu begrenzen, und sie wollten dies so schnell wie möglich tun. Wenn Gewerkschaften bei ihren Lohnforderungen nicht mehr das Risiko beachten müssen, dass Produktion ins billigere Ausland verlagert wird, dürften die Löhne stärker steigen. Zudem würden die Energiepreise während des Übergangs auf eine klimafreundlichere Versorgung erhöht bleiben.
3. Lohndruck
Die Arbeitslosenquote im Euroraum lag im Februar auf einem Rekordtief von 6.8 Prozent. Die nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine erhobenen Umfragedaten deuten Schnabel zufolge darauf hin, dass die Unternehmen weiterhin in hohem Tempo Arbeitsplätze schaffen wollen. "Ein so angespannter Arbeitsmarkt in einem so frühen Stadium des Aufschwungs ist ein guter Indikator für ein starkes künftiges Lohnwachstum", sagte Schnabel.
Dass davon derzeit noch nichts zu sehen ist, liegt nach ihrer Aussage an den noch genutzten Kurzarbeitsregelungen und der noch nicht völlig erholten Zahl der geleisteten Arbeitsstunden. "Im Euroraum ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass die Löhne erst mit Verzögerung und zeitlich gestaffelt und möglicherweise länger anhaltend sowohl auf die Inflation als auch auf die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt reagieren und damit einen anhaltenden Aufwärtsdruck auf die Inflation ausüben werden", sagte Schnabel.
Laut Schnabel fällt der Einmarsch Russlands in die Ukraine in eine Zeit, in der die Wirtschaft auf breiter Basis stark ist und in der große Ersparnisüberschüsse für einen Teil der Bevölkerung ein Polster bilden.
Ihr Fazit: "Indem sie Entschlossenheit zeigt, kann die Geldpolitik diese Dynamik durchbrechen und den Zielkonflikt zwischen der Stabilisierung der Produktion und der Inflation verringern." Eine als entschlossen wahrgenommene Zentralbank könne die Inflation zu geringeren wirtschaftlichen Kosten eindämmen, da schon die Erwartung angemessener Maßnahmen ihrerseits stabilisierend wirke.
"Die Fortsetzung der Normalisierung der Geldpolitik ist daher der richtige Weg", sagte die EZB-Direktorin. Das Tempo der Normalisierung werde wiederum von den wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges, der Schwere des Inflationsschocks und seiner Dauer abhängen.
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