
DJ Sewing: Dauerhaft hohe Inflation ist Gift für die Wirtschaft
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Die privaten Banken rechnen nach Angaben ihres Verbandes auch in den kommenden Monaten mit einem deutlich steigenden Preisniveau in Deutschland und sehen deshalb dringenden Handlungsbedarf und ein baldiges Zinssignal der Europäischen Zentralbank (EZB). "Mit über 7 Prozent hat die Inflation ein Niveau erreicht, das noch vor Kurzem außerhalb unserer Vorstellungskraft lag", sagte der Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken, Christian Sewing. Hauptgrund dafür seien zwar die steigenden Energiepreise, gleichzeitig gebe es aber auch strukturelle Ursachen für die hohen Teuerungsraten.
"Mit jedem Monat wächst die Gefahr, dass sich dieses Niveau festsetzt. Darauf haben die privaten Banken seit langem hingewiesen", erklärte Sewing. Daher bestehe dringender Handlungsbedarf. "Hohe Inflationsraten haben enorme Umverteilungseffekte und belasten insbesondere Menschen mit geringem Einkommen. Sie sind deshalb Gift für die Stabilität unserer Wirtschaft und eben auch unserer Gesellschaft", sagte der Chef der Deutschen Bank. Vieles spreche dafür, "dass die Europäische Zentralbank bald die Netto-Anleihenkäufe beendet und ein erstes Zinssignal setzt".
Russlands Krieg gegen die Ukraine und die Corona-Pandemie setzten der deutschen Konjunktur weiter zu, konstatierte Sewing. Die deutsche Wirtschaft werde dieses Jahr voraussichtlich nur noch um rund 2 Prozent wachsen. Selbst diese Prognose des Verbandes stehe unter Vorbehalt, denn es gebe erhebliche Risiken. Dazu zählten zuallererst die Energiepreise, die "eine Bürde für viele Unternehmen und Verbraucher" seien. "Auch, wenn die Bundesregierung inzwischen Entlastungsmaßnahmen auf den Weg gebracht hat, könnten weiter steigende Preise oder akute Engpässe die Wirtschaft erheblich bremsen", warnte Sewing.
Auch die neuen Lockdown-Maßnahmen in China könnten zu erneuten Produktionsausfällen und Lieferengpässen führen. Für die Weltwirtschaft wäre das ein erheblicher Dämpfer. Falls es zu einem Import- oder Lieferstopp von russischem Öl und Erdgas käme, würde sich die Situation noch einmal verschärfen. Eine deutliche Rezession in Deutschland wäre dann kaum zu vermeiden, so der Bankenpräsident. In Folge des Krieges gegen die Ukraine werde auch der Investitionsbedarf in Deutschland und Europa in den kommenden Jahren weiter steigen - so gelte es, die Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu beschleunigen. Dafür müsse auch privates Kapital mobilisiert werden.
Damit dies gelinge, brauche Europa endlich einen echten Finanzbinnenmarkt. "Es gibt kein kostengünstigeres Konjunkturprogramm als die Banken- und Kapitalmarktunion", sagte Sewing. Die deutschen Banken hätten ihr Engagement in Russland in den vergangenen Jahren deutlich reduziert. Ihre Risiken seien überschaubar und ihre Kapitalpuffer höher denn je. Gleichzeitig hätten die Banken nicht zuletzt in der Corona-Pandemie bewiesen, dass sie Teil der Lösung seien. Sie könnten "dieser Rolle auf Dauer aber nur gerecht werden, wenn auch der Rahmen für einen leistungsfähigen Bankenmarkt in einer vollendeten europäischen Bankenunion gegeben ist", betonte Sewing.
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April 04, 2022 05:05 ET (09:05 GMT)
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