KIEW (dpa-AFX) - Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will eine lückenlose Aufklärung der Verbrechen gegen Zivilisten in Butscha und anderen ukrainischen Städten. Dazu arbeite man unter anderem mit der EU und dem Internationalen Strafgerichtshof zusammen, sagte er. Die internationale Empörung über die Gräueltaten im Kiewer Vorort Butscha dauert an. Europäische Länder weisen Dutzende russische Diplomaten aus, denen sie Aktivitäten für Geheimdienste vorwerfen. Noch diese Woche wird EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen für ein Treffen mit Selenskyj nach Kiew reisen.
Die ukrainische Generalstaatsanwaltschaft verzeichnete nach eigenen Angaben mehr als 7000 Meldungen über russische Kriegsverbrechen in der Region um die Hauptstadt Kiew. Die meisten Opfer habe es in Borodjanka gegeben, sagte Generalstaatsanwältin Iryna Wenediktowa der Agentur Unian zufolge. "Ich denke, wir werden gesondert über Borodjanka sprechen."
Die Bilder aus Butscha, wo nach dem Abzug russischer Truppen zahlreiche Leichen auf den Straßen gefunden wurden, hatten am Wochenende Entsetzen ausgelöst. Die Ukraine macht für das Massaker russische Truppen verantwortlich, die die Stadt besetzt hatten. Moskau bestreitet das und sprach von einer "Inszenierung".
Videos und Satellitenbilder aus dem Kiewer Vorort Butscha widerlegen nach einer Analyse der "New York Times" Moskauer Behauptungen, dass Leichen getöteter Zivilisten dort erst nach dem Abzug des russischen Militärs platziert worden seien. Satellitenaufnahmen zeigten, dass sich die Überreste mehrerer Menschen bereits Mitte März auf der Straße befanden, schrieb die Zeitung.
Am Montag hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Butscha besucht und von einem "Völkermord" gesprochen. Auf Bildern aus der Stadt sind getötete Zivilisten zu sehen, deren Leichen zum Teil im Freien liegen. Bei einigen waren die Hände zusammengebunden.
Nach Erkenntnissen des US-Verteidigungsministeriums sind die russischen Streitkräfte für die Verbrechen in Butscha verantwortlich. "Ich denke, es ist ziemlich offensichtlich - nicht nur für uns, sondern für die Welt - dass russische Kräfte für die Gräueltaten in Butscha verantwortlich sind", sagte Pentagon-Sprecher John Kirby. Nach Großbritannien forderten auch die USA, Russland aus dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen auszuschließen.
Selenskyj versicherte, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden. "Die Zeit wird kommen, in der jeder Russe die ganze Wahrheit darüber erfahren wird, wer von seinen Mitbürgern (in der Ukraine) gemordet hat. Wer Befehle gegeben hat. Wer bei den Morden ein Auge zugedrückt hat", sagte der ukrainische Präsident. Er lud Journalisten aus der ganzen Welt ein, sich die zerstörten Städte anzusehen. "Lassen Sie die Welt sehen, was Russland getan hat!"
Von der Leyen reist nach Kiew mit Borrell
Von der Leyen soll bei der Reise nach Kiew vom EU-Außenbeauftragten Josep Borrell begleitet werden, teilte ihr Sprecher bei Twitter mit. Das Treffen werde vor der für Samstag geplanten Geberkonferenz in Warschau stattfinden, bei der Geld für die Millionen Flüchtlinge und Vertriebenen des Ukraine-Kriegs gesammelt werden soll.
Dutzende russische Diplomaten ausgewiesen
Nach Deutschland und Frankreich weisen weitere europäische Länder Dutzende russische Diplomaten aus. Dänemark verwies am Dienstag 15 Personen des Landes, Italien 30 Botschaftsangehörige und erklärte dies mit Fragen der nationalen Sicherheit.
CSU fordert weitere Waffen für die Ukraine
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt forderte die Bundesregierung auf, die Ukraine mit weiteren Waffenlieferungen zu unterstützen. "Die Bilder aus Butscha treffen in Mark und Knochen und zeigen einen unbeschreibbaren Zivilisationsbruch Russlands", sagte Dobrindt der "Augsburger Allgemeinen". "Es braucht jetzt eine weitere Stärkung der Verteidigungsfähigkeit der Ukraine mit Waffen, geschützten Fahrzeugen und Aufklärungstechnik mit Drohnen, die nicht nur von der Bundeswehr, sondern auch aus der Industrie heraus geliefert werden müssen."
Baerbock verteidigt Kurs bei russische Energielieferungen
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock warnte vor überzogenen Erwartungen an ein sofortiges Embargo gegen Energie aus Russland. "Wenn man morgen komplett ein Embargo hätte, wenn das diesen Krieg stoppen würde, dann würden wir das unverzüglich tun", sagte die Grünen-Politikerin in den ARD-"Tagesthemen". Ein solcher Ausstieg würde den Preis dieses Krieges zwar hochtreiben. "Er würde aber nicht dazu führen, dass morgen dieses Morden zu Ende ist." Man werde jedoch einen Komplettausstieg aus fossiler Energie aus Russland nicht nur vorbereiten, sondern "massiv in die Wege leiten", sagte Baerbock.
Ukraine erwartet schwere Angriffe auf Charkiw
Das ukrainische Verteidigungsministerium rechnet mit weiteren russischen Angriffen auf die belagerte Millionenstadt Charkiw im Osten der Ukraine. Russische Truppen bereiteten sich darauf vor, die Stadt zu erobern, sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Kiew, Olexander Motusjanyk, nach Angaben der "Ukrajinska Prawda". Auch in anderen Gebieten im Osten der Ukraine erhielten russische Truppen Verstärkung.
Ukraine: Wiederaufbau von Brücken dauert zwei bis drei Monate
Der Wiederaufbau während des Kriegs zerstörter Brücken in der Region Kiew werde etwa zwei bis drei Monate dauern, teilte das ukrainische Infrastrukturministerium nach Angaben der Agentur Unian mit. Die Arbeiten sollen demnach in den kommenden Tagen beginnen.
Ukraine-Krieg verschlimmert Nahrungsmittelkrise in Westafrika
Westafrika steht kurz vor der schlimmsten Nahrungsmittelkrise seit zehn Jahren. Davor warnten elf internationale Hilfsorganisationen - darunter Oxfam, Save the Children und World Vision - vor einer EU-Konferenz zur Lebensmittel- und Ernährungskrise in der Sahelzone mit. Man sei besorgt, dass der Krieg in der Ukraine die ohnehin katastrophale Situation verschlimmern werde. Geberländer hätten angedeutet, dass sie finanzielle Mittel für Afrika kürzen könnten. Dabei könnten in Westafrika bald knapp 40 Millionen Menschen hungern./csp/DP/eas