
DJ EZB/Panetta warnt vor "deflationärer" Geldpolitik
Von Hans Bentzien
FRANKURT (Dow Jones)--Die Europäische Zentralbank (EZB) sollte beim Umgang mit der sehr hohen Inflation im Euroraum nach Aussage von EZB-Direktor Fabio Panetta sehr behutsam vorgehen. In einer Rede anlässlich der Verleihung einer Ehrendoktorwürde sagte Panetta, dass die EZB zur Senkung des weitgehend importierten Inflationsdrucks die Hilfe der Fiskalpolitik brauche. Andernfalls bestehe die Gefahr, dass die EZB eine binnenwirtschaftliche Deflation auslöse. Folgende drei Punkte hob Panetta laut veröffentlichtem Redetext hervor:
1. Die Inflation ist vor allem importiert
Die hohe Inflation ist größtenteils auf globale Faktoren zurückzuführen - einschließlich des Anstiegs der Preise von Öl, Gas und anderen Rohstoffen -, auf die die Geldpolitik nur wenig Einfluss habe. Sie resultiere nicht aus einer über ihrem Potenzial arbeitenden Wirtschaft, also aus einem Nachfrageüberhang, der durch eine straffere Geldpolitik ausgeglichen werden könnte.
2. Fiskalpolitik muss Geldpolitik helfen
Aus diesem Grund wäre es kostspielig, von der Geldpolitik allein zu verlangen, die kurzfristige Inflation zu senken, während die Inflationserwartungen fest verankert bleiben. Die EZB müsste die Binnennachfrage massiv drosseln, Beschäftigung und Löhne würden sinken. "Bei dem derzeitigen Niveau der importierten Inflation müssten wir, um die Gesamtinflation bei 2 Prozent zu halten, eine stark negative inländische Inflation haben - wir würden mit anderen Worten eine inländische Deflation herbeiführen", sagte Panetta.
Sein Vorschlag: Die Fiskalpolitik hilft durch die Senkung der indirekten Steuern oder höhere Transferleistungen für die am stärksten betroffenen Haushalte. Auch auf der Angebotsseite könne der Staat durch Direktinvestitionen, Anreize oder regulatorische Eingriffe das Problem des anhaltenden Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage angehen. "Die Geldpolitik wird ihre Rolle spielen und die Politik an die mittelfristigen Inflationsaussichten anpassen", versprach Panetta.
3. Eintreten von Zweitrundeneffekten ist nicht sicher
Die EZB würde zwar entsprechend ihrem Mandat zur Sicherung der Preisstabilität die Geldpolitik straffen, wenn es zu einer Lösung der Inflationserwartungen und zu einem beschleunigten Lohnwachstum käme. Solche Zweitrundeffekte seien aber nicht zu erkennen. Panetta sagte: "Möglicherweise werden sie auch nicht eintreten." Gründe seien die Glaubwürdigkeit der EZB und die außergewöhnlich hohe Unsicherheit, die Arbeitnehmer dazu veranlassen könnte, der Arbeitsplatzsicherheit Vorrang vor Lohnerhöhungen zu geben.
"Vorerst erfordert diese Unsicherheit weiterhin vorsichtige und allmähliche Schritte bei der Anpassung der Politik", sagte der EZB-Direktor.
Der EZB-Rat berät am 13./14. April über seine Geldpolitik. Die "Falken" in dem Gremium wollen eine möglichst rasche Zinsanhebung. Panetta als geldpolitische "Taube" ist offenkundig dagegen. Gegenwärtig stellt der EZB-Rat eine erste Zinserhöhung für "einige Zeit" nach dem Ende der Nettoanleihekäufe in Aussicht. Dies könnte - muss nach der aktuellen Beschlusslage aber nicht - im September kommen.
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April 06, 2022 06:13 ET (10:13 GMT)
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