DJ Volkswirte: EZB stellt mehr Einlagen von Zins frei
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) wird seine Geldpolitik nach den Beratungen in dieser Woche nach Meinung der meisten Volkswirte unverändert lassen. Einige von ihnen erwarten jedoch, dass das Gremium den Anteil jener Einlagen anheben wird, auf den die Banken keinen Zins an die EZB zahlen müssen. Das würde ihrer Meinung dazu beitragen, die Überschussliquidität im System hoch zu halten.
"Unseres Erachtens könnte die Notenbank beschließen, den Teil der Überschussreserven zu erhöhen, der von der Verzinsung zum geltenden Einlagesatz befreit ist", schreibt Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert in seinem Ausblick. Dieser Freibetrag wird als Vielfaches (Multiplikator) des Reservesolls berechnet und könnte Schubert zufolge von derzeit sechs auf neun erhöht werden, da die Überschussliquidität infolge expansiver EZB-Maßnahmen wohl viel deutlicher gestiegen sei als bei der Festlegung des Multiplikators im September 2019 erwartet.
Die Anhebung des Multiplikators taucht in den Prognosen von Bankvolkswirten regelmäßig auf. Offenbar ist den Experten sehr bewusst, wie sehr der Einlagensatz" die Ertragskraft des eigenen Instituts belastet. Allerdings bereitet sich die EZB derzeit auf eine Straffung ihrer Geldpolitik vor, wozu auch eine Rückführung der Überliquidität im Bankensystem gehören könnte.
Gleichwohl hält Schubert eine Entscheidung zum Freibetrag an diesem Donnerstag für plausibel, weil bei den TLTROs im Juni die so genannte Sonderzinsperiode ausläuft, sodass Geschäftsbanken über eine Rückgabe größerer TLTRO-Beträge nachdenken dürften, was wiederum die Überschussliquidität verringern würde. "Die Entscheidung dürfte für die Banken einfacher sein, wenn Klarheit herrscht, wie groß die Entlastung durch die Freibeträge in Zukunft ausfallen wird", meint Schubert.
Bas van Geffen und Elwin de Groot von der Rabobank teilen seine Ansicht. Sie verweisen darauf, dass die EZB die Überschussliquidität in den vergangenen Jahren stark erhöht habe, ohne je den Multiplikator anzuheben. "Die EZB hielt dies wohl nicht für notwendig, da der TLTRO-Abschlag eine Carry-Möglichkeit bot, die die Banken für die Kosten der negativen Zinssätze kompensierte", schreiben sie. Da eine neue Sonderzinsperiode sehr unwahrscheinlich sei, werde es nun wieder die Aufgabe des zweistufigen Systems sein, die Nebenwirkungen der Minuszinsen abzumildern, argumentieren sie.
Die Analysten glauben, dass eine Erhöhung des Multiplikators als Möglichkeit gesehen werden sollte, mehr Flexibilität zu schaffen: "Wenn die EZB die Zinsen erhöht, wird das zweistufige System automatisch irrelevant, sobald der Einlagefazilität 0 Prozent erreicht. Durch die Erhöhung des Multiplikators verschafft sie sich jedoch Zeit, um Erhöhungen zu verschieben, wenn der Rat dies für angemessen hält."
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April 11, 2022 05:50 ET (09:50 GMT)
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