DJ EZB: Hohe Prognosefehler vor allem wegen Energiepreisen
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Volkswirte der Eurosystem-Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (EZB) haben sich Ende 2021 so gründlich wie noch nie zuvor in der tatsächlich vorausliegenden Inflationsdynamik getäuscht. Wie die EZB in ihrem aktuellen Wirtschaftsbericht schreibt, war die Inflation im ersten Quartal 2022 um 2,0 Prozentpunkte höher als in den Dezember-Projektionen vorausgesagt. Die EZB veröffentlicht seit 1998 jedes Quartal Wachstums- und Inflationsprojektionen. Halbjährlich (im Juni und Dezember) sind daran auch die Zentralbanken aller Euro-Länder beteiligt.
Die EZB sieht sich derzeit dem Vorwurf ausgesetzt, zu spät auf die außerordentlich hohe Inflation reagiert zu haben und derzeit immer noch zu wenig entschlossen zu agieren. Einige EZB-Ratsmitglieder haben angesichts des großen Abstands zwischen tatsächlicher und prognostizierter Inflation angezweifelt, dass die EZB ihre Geldpolitik an diesen Prognosen ausrichten sollte.
Jüngster Stein des Anstoßes waren die im März veröffentlichten Prognosen, die für 2023 und 2024 Inflationsraten von nur 2,1 und 1,9 Prozent vorsehen. Im März waren die Verbraucherpreise mit einer Jahresrate von 7,4 Prozent gestiegen. Für April werden 7,5 Prozent erwartet. Neue Projektionen veröffentlicht die EZB im Juni, wenn auch abschließend über das Ende der Bilanzvergrößerung via Anleihekauf entschieden werden soll.
Laut dem Bericht hat sich die Prognosequalität im Laufe der Corona-Krise deutlich verschlechtert, auch wenn sie bis zum zweiten Quartal 2021 im Durchschnitt noch besser war als während der Großen Finanzkrise. "Die Genauigkeit der Prognosen verschlechterte sich vor allem ab dem dritten Quartal 2021, als unerwartete Entwicklungen bei den Energiepreisen in Verbindung mit der Wiedereröffnung nach coronabedingten Einschränkungen und globalen Versorgungsengpässen zu einem beispiellosen Anstieg der Inflation führten", heißt es in dem Bericht.
Das lag zu drei Vierteln daran, dass die EZB die Entwicklung der Energiepreise auf Basis der von Ölpreis-Futures schätzte - wie das auch der Internationale Währungsfonds (IWF), die EU-Kommission oder die US-Notenbank tun. Seither hat die EZB versucht, ihre Schätzungen zu verbessern, in dem sie etwa gesonderte Prognosen für die Entwicklung der Großhandelsgaspreise erstellt, für die sie bisher eine Entwicklung analog der Ölpreise unterstellt hatte.
Gerade die Gaspreise aber sind wegen der Angst vor einer Rationierung besonders stark gestiegen. Auch für Großhandelsstrompreise gibt es nun eigene Prognosen. Berücksichtigt werden zudem die Preiswirkungen des Emissionshandels. Gleichwohl dürfte eine zielgenaue Inflationsprognose angesichts der aktuell auch kriegsbedingt großen Unsicherheit schwierig bleiben, schreibt die EZB.
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April 28, 2022 04:00 ET (08:00 GMT)
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