DJ EZB/Lagarde: Stagflation "derzeit nicht unsere Ausgangsbasis"
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, sieht kein ausgeprägtes Risiko für eine Stagflation in der Eurozone. In einem Interview mit der slowenischen Zeitung Delo wies sie auch auf die "definierte Abfolge" für Zinsschritte hin, ohne einen konkreten Zeitpunkt nennen zu wollen, und rechnet mit einem Ende der Nettokäufe zu Beginn des dritten Quartals. Die Banken im Euroraum sieht sie gut aufgestellt, um die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und der Pandemie zu verkraften.
Eine Stagflation sei "derzeit nicht unsere Ausgangsbasis", sagte Lagarde. Zwar könnte das ungewöhnliche Ausmaß an Unsicherheit eine kombinierte Wachstumsverlangsamung bei hoher Inflation bedeuten, doch ist die derzeitige Situation nicht mit der der 1970er Jahre vergleichbar. Damals seien der Rückgang des Wachstums nach dem ersten Ölschock und die Inflation höher als heute gewesen. Zudem hätten Lohnerhöhungen als Reaktion auf die Inflation den Preisanstieg angeheizt.
Die wirtschaftlichen Folgen des Kriegs in der Ukraine gingen zwar über das Land hinaus. Dieser belaste allgemein das Wachstum und treibe die Inflation. Hinzu kämen die Auswirkungen der Lockdowns in China. Gleichzeitig werde aber die Wirtschaftsaktivität in der Eurozone weiter durch die Wiederbelebung nach der Pandemie gestützt, vor allem im Dienstleistungssektor.
Eindämmung des Energiepreisanstiegs keine Zentralbank-Aufgabe
Angesprochen auf die Unterschiede in den Inflationsraten der einzelnen Mitgliedsländer, stellte sie die Entwicklung der Energiepreise heraus. Bei der Energiesicherheit zeige sich die Verwundbarkeit besonders deutlich. Auf EU-Ebene gebe es Vorschläge für gemeinsame Initiativen, um zu verhindern, dass die Energiepreise unverhältnismäßig stark steigen. Aber solche Initiativen müssten auf der Ebene der Regierungen erwogen werden: Eine Zentralbank habe in dieser Angelegenheit wenig zu sagen oder beizutragen. Aufgabe der EZB sei es, die Preisstabilität im Euroraum zu gewährleisten.
Zum Zeitpunkt einer Zinserhöhung verwies Lagarde auf die "definierte Abfolge", ohne einen konkreten Zeitpunkt nennen zu wollen. Sie gehe davon aus, dass die Nettokäufe von Vermögenswerten zu Beginn des dritten Quartals abgeschlossen sein werden. Dann würden Zinsanpassungen "einige Zeit nach dem Ende der Nettokäufe und schrittweise erfolgen".
Kreditrisikoaussichten könnten sich verschlechtern
Den Bankensektor in der Eurozone sieht Lagarde "dank seiner starken Kapital- und Liquiditätsposition gut vorbereitet", auch wenn sich die Kreditrisikoaussichten aufgrund der indirekten Auswirkungen des russischen Krieges gegen die Ukraine wahrscheinlich verschlechtern werden und die finanziellen Auswirkungen von Covid-19 noch nicht in vollem Umfang eingetreten sind.
Die Kernkapitalquoten hätten fast den höchsten Stand seit der Gründung der Bankenunion erreicht, und die Banken verfügen auch über reichliche Liquiditätspuffer, die weit über den aufsichtsrechtlichen Mindestanforderungen lägen. Auch die Qualität der Aktiva und die Rentabilität der Banken hätten sich 2021 verbessert, die Eigenkapitalrendite habe den höchsten Stand seit fünf Jahren erreicht. So sei die Quote der notleidenden Kredite weiter zurückgegangen auf knapp über 2 Prozent Ende 2021.
"Unser Engagement kennt keine Grenzen"
Auf die Frage unter Verweis auf die "What ever it takes"-Aussage ihres Vorgängers Mario Draghi, was Lagarde bereit sei zu tun, um den Euro zu schützen, sagte sie, "unserem Engagement für unser Mandat und die gemeinsame Währung sind keine Grenzen gesetzt". Das habe die EZB in Krisen immer wieder bewiesen: "Unsere beispiellose Reaktion auf die Pandemie ist nur das jüngste Beispiel."
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May 07, 2022 03:44 ET (07:44 GMT)
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