DJ Schnabel: EZB-Maßnahmen gegen Inflation sind dringender geworden
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--EZB-Direktorin Isabel Schnabel sieht eine erhöhte Notwendigkeit für ein Eingreifen der Europäischen Zentralbank (EZB) gegen die Inflation. In einer Konferenz der Österreichischen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management sagte Schnabel, dass sich Geldpolitik angesichts der starken Preissetzungsmacht der Unternehmen und pandemiebedingt hoher Ersparnisüberschüsse besonders um die Verankerung der Inflationserwartungen bemühen müsse. "Da die Gefahr wächst, dass sich die derzeitige hohe Inflation in den Erwartungen verfestigt, hat die Dringlichkeit geldpolitischer Maßnahmen zum Schutz der Preisstabilität in den letzten Wochen zugenommen", sagte sie laut veröffentlichtem Redetext.
Die EZB-Direktorin widersprach der oft vertretenen These, dass die Inflationsdynamik im Euroraum geringer als die in der USA sei, weshalb die Geldpolitik weniger entschlossen vorgehen müsse. Ihrer Meinung nach sind die USA in die kriegsbedingte Phase historisch hoher Inflationsraten nur von einer höheren Basis aus eingetreten, wobei sich der vergrößerte Unterschied in den Inflationsraten vor allem auf eine Monate im Frühjahr 2021 zurückführen lasse. "Seitdem sind die Unterschiede bei den monatlichen Veränderungen der Inflation ohne Energie und Nahrungsmittel weitgehend zu ihrem Muster von vor der Pandemie zurückgekehrt", sagte sie.
Inflationsdynamik im Euroraum ähnlich hoch wie in den USA
Deutlich wird das Schnabel zufolge, wenn man anstatt auf die klassische Kerninflation (ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise) auf die bereinigte mittlere Inflation (trimmed-mean inflation) schaut, für deren Berechnung die Positionen an den äußersten Enden der monatlichen Preisveränderungen abgeschnitten werden. "Dieses Maß deutet darauf hin, dass sich der zugrundeliegende Preisdruck auf beiden Seiten des Atlantiks in einem recht ähnlichen Tempo beschleunigt. Wenn überhaupt, dann ist die Inflation im Euroraum seit Ende 2020 schneller gestiegen", sagte sie.
Sorge bereitet der EZB-Direktorin der Anstieg der Inflationserwartungen. So lag die von den Finanzmärkten erwartete durchschnittliche Inflationsrate über einen Zeitraum von fünf Jahren, der in fünf Jahren beginnt, 2019 um 1 Prozentpunkt niedriger als in den USA - "in der vergangenen Woche betrug der Unterschied nur 20 Basispunkte", wie Schnabel sagte.
Schnabel zufolge gelingt es den am Weltmarkt agierenden Unternehmen, trotz hoher Rohstoffpreise ihre Margen zu steigern. Daran werde sich nichts ändern, solange die weltweite Nachfrage höher als das Angebot sei. Alternativ könnten Arbeitnehmer ihre wegen der hohen Arbeitskräftenachfrage gestiegene Verhandlungsmacht dazu nutzen, sich höhere Löhne zu sichern.
Inflation dürfte für längere Zeit schmerzhaft hoch bleiben
"In beiden Szenarien dürfte der zugrundeliegende Preisdruck hoch bleiben, was bedeutet, dass die Inflation für einen längeren Zeitraum auf einem schmerzhaft hohen Niveau verharren könnte", sagte Schnabel. Sie sieht das Risiko, dass die Inflation langsamer als bisher angenommen in Richtung des Zielwerts von 2 Prozent zurückgehen wird.
Ihr Fazit: "Die Geldpolitik muss handeln, um die Preisstabilität zu sichern." Dazu müsse sie nicht unbedingt die Binnennachfrage bremsen, weil sich die weltweiten Finanzierungsbedingungen bereits verschlechterten. Um im aktuellen Umfeld glaubwürdig zu bleiben, dürfe die Geldpolitik aber nicht selbst zur Inflationsursache werden. "Es ist daher an der Zeit, die Maßnahmen, die zur Bekämpfung der niedrigen Inflation ergriffen wurden, zu beenden."
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May 11, 2022 09:57 ET (13:57 GMT)
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