DJ Lagarde will mehr Diskussion im EZB-Rat ermöglichen - Agentur
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--EZB-Präsidentin Christine Lagarde will dafür sorgen, dass der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) vor geldpolitischen Beschlüssen ausführlicher diskutieren kann. Wie die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf namentlich nicht genannte EZB-Gewährsleute berichtet, wurde dazu bereits im April die Sitzungsdauer verlängert. Außerdem bekam EZB-Chefvolkswirt Philip Lane weniger Zeit für die Präsentation seiner Analyse und Beschlussvorlage. Volkswirte sind der Meinung, dass Lagarde mit diesen Maßnahmen, die den geldpolitischen Falken zusätzlich Auftrieb geben könnten, ihrem Kurs der Konsensbildung treu bleibt.
Der Chefökonom, der sich nicht zu dem Reuters-Bericht äußerte, ließ Ratsmitgliedern jüngst als Teil der Neuerungen schon vor der Sitzung Unterlagen zukommen. Laut EZB wird mit einem solchen Vorgehen eine umfassendere Analyse ermöglicht. Und zugleich können Präsentationen "prägnanter" ausfallen und Wiederholungen vermieden werden. Waren Lanes Präsentation bisher mitunter bis zu 60 Seiten lang, sollen es künftig nur noch 20 sein.
Nach Einschätzung von Commerzbank-Volkswirt Michael Schubert zeigt sich in Lagardes Vorgehen ihr bei Amtsantritt geäußerter Vorsatz, alle Ratsmitglieder zu Wort kommen zu lassen und möglichst im Konsens zu entscheiden. "Wenn ich diese Geschichte richtig verstehe, dann hat das nicht funktioniert, weil Lane zu viel Redezeit hatte. Das ändert sie jetzt, sie tut damit das, wofür sie angetreten ist", sagt Schubert.
Einer der befragten Gewährsleute bei der EZB ist auch der Meinung, dass Lanes Stimme in der internen Debatte bislang im Rat zu viel Gewicht gehabt habe: "Daher ist es gut, das auszubalancieren." Neben einer gewissen Unzufriedenheit mit Textlängen und Präsentationsstil des Harvard-Absolventen schimmert auch inhaltliche Kritik durch, weil sich die EZB-Inflationsprognosen immer wieder als zu niedrig erwiesen.
ING-Europa-Chefvolkswirt Carsten Brzeski ist der Ansicht, dass durch diese Neuerung die geldpolitischen Falken im Rat zusätzlichen Aufwind bekommen. "Die Falken bekommen mehr Redezeit, Lane werden die Flügel gestutzt", bringt Brzeski es auf den Punkt. Die Frage sei, ob Lane, der immer stark mit seinen volkswirtschaftlichen Modellen argumentiere, immer noch Lagardes wichtigster geldpolitischer Berater sei.
Laut Reuters-Bericht will die EZB-Präsidentin mit ihrem neuen Vorgehen aber auch verhindern, dass immer wieder Interna aus den Beratungen nach außen dringen. "Manche Ratsmitglieder fanden wohl auch, dass ihre abweichende Meinung in den Pressekonferenzen der EZB-Präsidentin nicht ausreichend Berücksichtigung fand, was sie dann nach außen getragen haben", sagt Commerzbank-Volkswirt Schubert. Jetzt erhielten sie mehr Zeit, ihre Meinung intern zu sagen.
Brzeski hält dieses Vorgehen aber für wenig aussichtsreich: "Der Drang der Ratsmitglieder, mit ihren Äußerungen den Markt zu beeinflussen, wird sich so kaum stillen lassen", meint er.
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May 18, 2022 05:30 ET (09:30 GMT)
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