DJ Unicredit warnt vor Folgen strafferer EZB-Geldpolitik
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Unicredit warnt davor, dass eine Anhebung der Zinsen durch die Europäische Zentralbank (EZB) auf ein für den Euroraum neutrales Niveau zu einer starken Verschlechterung der Finanzierungsbedingungen der besonders schwachen Länder führen würde. Chefvolkswirt Marco Valli verweist in einem Kommentar darauf, dass eine von einigen EZB-Ratsmitgliedern ins Auge gefasste Anhebung des Leitzinses auf 1,50 Prozent das Wachstum in eine bereits laufende Abbremsung hinein zusätzlich belasten und die positiven Wirkungen des Finanzprogramms Next Generation EU (NGEU) teilweise aufheben würde.
Auf folgende drei Punkte weist Valli hin:
1. Marktzinsen schon sehr stark gestiegen - Finanzierungsbedingungen schlechter
Valli zufolge hat es einen Renditeanstieg in dem seit Jahresbeginn zu beobachtenden Tempo seit über 20 Jahren nicht mehr gegeben. In den drei Monaten seit der "hawkishen" Wende der EZB seien die Realzinsen so stark gestiegen wie im gesamten Straffungszyklus von 2005 bis 2007. "Die höheren Zinsen gingen mit einer Verschärfung der allgemeinen Finanzbedingungen einher, die durch fallende Aktienkurse, höhere Volatilität und größere Kreditspreads verursacht wurden", schreibt der Ökonom.
2. Wo liegt der neutrale Zins?
Wäre der neutrale Zins für den Euroraum tatsächlich 1,50 Prozent, dann läge der Italiens vermutlich etwas niedriger. "Wenn man bedenkt, dass italienische Staatsanleihen mit drei Jahren Restlaufzeit bereits jetzt mit über 1,50 Prozent rentieren, dann bedeutet das, dass die italienische Volkswirtschaft auf restriktive Konditionen zusteuert, zumal die Kompression der Kreditzinsen durch die TLTRO-Tender zunehmend ausläuft", schreibt Valli. Die Herstellung eines neutralen Zinsniveaus für den Euroraum würde daher mit einer stärkeren Divergenz zwischen den Ländern einhergehen und damit den Zielen des NGEU-Programms zuwiderlaufen.
"Unserer Ansicht nach würde dies mehr Herausforderungen mit sich bringen als die Normalisierung der Zinssätze etwas unterhalb eines neutralen Niveaus für die Euro-Zone zu stoppen, während die verbleibende Straffung auf nationaler Ebene durch makroprudenzielle und fiskalische Maßnahmen zu erreichen wäre, wo dies erforderlich ist", gibt der Ökonom zu bedenken. Valli kann sich nicht vorstellen, dass das noch spekulative Instrument der EZB gegen "Fragmentierung" wirksam genug wäre, um die Spreads ausreichend zu senken.
3. Übertragung der Geldpolitik über die Banken
Valli weist darauf hin, dass die Banken ihre Kreditkonditionen laut EZB-Umfrage bereits im ersten Quartal deutlich gestrafft haben und das im zweiten Quartal fortsetzten wollten. Das sei ungewöhnlich früh in einem Straffungszyklus und sicherlich früher als 2005 bis 2007. "Diese Dynamik sollte aufmerksam beobachtet werden", schreibt er. Wenn die EZB hier unnötige Risiken vermeiden wolle, sollte sie ihre Liquiditätsstrategie bald erklären.
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May 20, 2022 10:37 ET (14:37 GMT)
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