
DJ OECD senkt BIP-Prognosen und warnt vor Nahrungsmittelkrise
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat ihre Wachstumsprognosen für das laufende und das kommende Jahr wegen des russischen Krieges gegen die Ukraine deutlich gesenkt. Wie die OECD in ihrem aktuellen Wirtschaftsausblick mitteilt, rechnet sie für 2022 mit einem Anstieg des weltweiten Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 3,0 (Dezember-Prognose: 4,5) Prozent und für 2023 mit 2,8 (3,2) Prozent Wachstum.
Die OECD rät den Zentralbanken zu einem differenzierten Vorgehen gegen die hohe Inflation. Wo diese wie in Europa vor allem auf einem eingeschränkten Angebot beruhe, müsse die Geldpolitik behutsam vorgehen. Laut OECD droht der wirtschaftliche Preis des Krieges vor allem für die Armen hoch auszufallen, weshalb er gemeinsam getragen werden müsse.
OECD: Deutschlands BIP steigt 2022 um 1,9 Prozent
Die OECD erwartet, dass das US-BIP um 2,5 (2,7) und 1,2 (2,4) Prozent steigen wird und das des Euroraums um 2,6 (4,3) und 1,6 (2,5) Prozent, darunter Deutschlands um 1,9 (4,1) und 1,7 (2,4) Prozent. Für China werden Wachstumsraten von 4,4 (5,1) und 4,9 (5,1) Prozent prognostiziert und für Japan von 1,7 und 1,8 Prozent.
Die Inflation in den 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländern (G20) wird laut OECD im laufenden Jahr bei 7,6 Prozent liegen und 2023 auf rund 6,3 Prozent zurückgehen, für den Euroraum werden 7,0 (2,7) und 4,6 (1,8) Prozent erwartet. Ende 2023 sieht die OECD die Euroraum-Inflation bei 3,9 Prozent und die Kerninflation bei 3,7 Prozent.
"Die Welt produziert genug Getreide"
Priorität muss laut OECD die Vermeidung einer Nahrungsmittelkrise haben. "Die Welt produziert genug Getreide, um alle Menschen zu ernähren, aber die Preise sind sehr hoch, und es besteht die Gefahr, dass diese Produktion nicht bei denen ankommt, die sie am meisten brauchen", warnt die Organisation. Globale Zusammenarbeit sei notwendig, um sicherzustellen, dass die Lebensmittel die Verbraucher zu erschwinglichen Preisen erreichten, insbesondere in einkommensschwachen Ländern und Schwellenländern.
Auch beim Umgang mit der hohen Inflation sieht die OECD eine Rolle für den Staat. "Die Inflation ist eine Belastung, die gerecht auf die Menschen und Unternehmen und zwischen Gewinnen und Löhnen aufgeteilt werden muss", fordert sie. Es müssten jene Menschen gezielt unterstützt werden, die am stärksten von der steigenden Lebensmittel- und Energieinflation betroffen seien. "Sie (die Inflation) wird dazu beitragen, die Verschuldung, einschließlich der Staatsverschuldung, zu senken, aber sie untergräbt auch Realeinkommen, Ersparnisse und Kaufkraft", merkt die OECD an.
Geldpolitik in Europa vorsichtig normalisieren
Die Organisation rät zu einem differenzierten Umgang der Geldpolitik mit der Inflation. "Die weltweite Rücknahme der geldpolitischen Stützung ist gerechtfertigt, aber in Europa sollte das mit besonderer Vorsicht geschehen, weil hier die angebotsgetriebene Inflation dominiert", schreibt die OECD. Dagegen könne die Zentralbank in den USA energisch vorgehen.
Die Fiskalpolitik müsse ihre Ausgaben angesichts hoher Schuldenstände stark priorisieren. Neu hinzugekommen seien Anforderungen von der Verteidigung und vom "grünen Wandel", es gebe aber auch Mittelbedarf im Gesundheitswesen, bei Digitalisierung, mit Bezug zu Bevölkerungsalterung sowie Ausbildung, erklärte die OECD.
Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com
DJG/hab/apo
(END) Dow Jones Newswires
June 08, 2022 05:00 ET (09:00 GMT)
Copyright (c) 2022 Dow Jones & Company, Inc.