DJ EZB beendet Nettoanleihekäufe und kündigt Zinserhöhungen an
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat ein Ende seiner Nettoanleihekäufe beschlossen und zugleich eine Erhöhung aller Leitzinsen angekündigt. Wie die EZB mitteilte, sollen die Nettokäufe am 1. Juli enden. Eine erste Anhebung der Leitzinsen wurde für die Juli-Sitzung angekündigt, eine weitere für September, wobei eine Anhebung von 50 Basispunkten nicht ausgeschlossen wurde.
Zugleich machte die EZB klar, dass sie noch für längere Zeit an ihren im Rahmen der Kaufprogramme APP und PEPP erworbenen Anleihebeständen von zuletzt 4,95 Billionen Euro festhalten will, wozu sie die Tilgungsbeträge fällig gewordener Papiere wieder anlegen wird.
Im Falle des PEPP will sie damit - falls angezeigt - flexibel hinsichtlich Zeitpunkt, Wertpapierklasse und Herkunftsland vorgehen. Die EZB hob erneut den Nutzen flexibler Asset-Käufe in Stresssituationen hervor, die auch in Zukunft möglich sein sollte. Sie machte dazu aber keine näheren Angaben. Zudem will die EZB die Sonderkonditionen für Kredite unter dem TLTRO3 wie geplant auslaufen lassen.
Folgende Beschlüsse fasste der EZB-Rat im Einzelnen:
1. APP-Programm
Die EZB will die Nettokäufe unter dem APP-Kaufvolumen am 1. Juli einstellen. Die Tilgungsbeträge der APP-Wertpapiere sollen für längere Zeit über den Zeitpunkt der ersten Zinserhöhung hinaus voll wiederangelegt werden. Dies soll so lange wie nötig geschehen, um für reichlich Liquidität und eine angemessene geldpolitische Ausrichtung zu sorgen.
2. PEPP-Programm und Forward Guidance
Die Tilgungsbeträge von unter dem Pandemiekaufprogramm PEPP erworbenen Anleihen sollen bis mindestens Ende 2024 wiederangelegt werden. Das Auslaufen der Wiederanlage soll so gesteuert werden, dass eine Beeinträchtigung des geldpolitischen Kurses vermieden wird. Die EZB kann die Wiederanlage flexibel handhaben.
Vor allem für den Fall einer abermaligen "Fragmentierung", also eines Anstiegs der Renditedifferenzen von Staatsanleihen, kann die Wiederanlage flexibel hinsichtlich Zeitpunkt, Asset-Klasse und Herkunftsland erfolgen. Das gilt auch für griechische Staatsanleihen, die die EZB falls nötig über die reine Wiederanlage hinaus kaufen dürfte. Auch eine Wiederaufnahme der Nettokäufe insgesamt ist möglich.
3. Zinsen und Forward Guidance
Der Zinssatz für die Hauptrefinanzierungsgeschäfte sowie die Zinssätze für die Spitzenrefinanzierungsfazilität und die Einlagefazilität werden unverändert bei 0,00 Prozent, 0,25 Prozent bzw. minus 0,50 Prozent belassen, sie sollen aber angehoben werden. In dem Beschluss heißt es:
"Der EZB-Rat beabsichtigt, die Leitzinsen in seiner geldpolitischen Sitzung im Juli im Einklang mit der vom EZB-Rat festgelegten Reihenfolge der Maßnahmen um 25 Basispunkte anzuheben. Der EZB-Rat geht davon aus, dass er die Leitzinsen im September erneut anheben wird." Die Kalibrierung dieser Zinserhöhung werde von den aktualisierten mittelfristigen Inflationsaussichten abhängen.
"Bleiben die mittelfristigen Inflationsaussichten bestehen oder verschlechtern sich, wird auf der September-Sitzung eine stärkere Anhebung angemessen sein." Über den September hinaus erwarte der EZB-Rat auf der Grundlage seiner derzeitigen Einschätzung, dass ein allmählicher, aber nachhaltiger Pfad weiterer Zinserhöhungen angemessen sei. Dieser Kurs werde aber von den hereinkommenden Daten und der Einschätzung der mittelfristigen Inflationsentwicklung abhängen.
4. Refinanzierungsbedingungen
Die EZB wird die Refinanzierungsbedingungen der Banken beobachten und dafür sorgen, dass das Fälligwerden von TLTRO3-Geschäften nicht die reibungslose Übertragung der Geldpolitik beeinträchtigt. Sie will zudem regelmäßig prüfen, wie gezielte Kreditoperationen ihre geldpolitische Ausrichtung beeinflussen. Die Sonderkonditionen der TLTRO3 sollen wie geplant am 23. Juni auslaufen.
5. Flexibilität
Der EZB-Rat ist bereit, alle seine Instrumente im Rahmen seines Mandats anzupassen und dabei gegebenenfalls flexibel vorzugehen, um sicherzustellen, dass sich die Inflation mittelfristig bei seinem Ziel von 2 Prozent stabilisiert. "Die Pandemie hat gezeigt, dass unter angespannten Bedingungen die Flexibilität bei der Gestaltung und Durchführung der Ankäufe von Assets dazu beigetragen hat, der gestörten Transmission der Geldpolitik entgegenzuwirken, und die Bemühungen des EZB-Rats zur Erreichung seines Ziels effektiver gemacht hat", heißt es dazu.
Im Rahmen des Mandats des EZB-Rats werde die Flexibilität unter angespannten Bedingungen ein Element der Geldpolitik bleiben, wenn die geldpolitische Transmission das Erreichen der Preisstabilität gefährde.
Die EZB veröffentlichte außerdem die aktuellen Inflationsprognosen des volkswirtschaftlichen Stabs. Dieser erwartet für 2022 einen Anstieg der Verbraucherpreise um 6,8 (bisher: 5,1) Prozent. Für 2023 und 2024 werden 3,5 (2,1) und 2,1 (1,9) Prozent erwartet. Damit liegt die erwartete Inflation in einem Zeithorizont, der als mittelfristig umschrieben werden kann, höher als der EZB-Zielwert von 2 Prozent. Für die Kernverbraucherpreise (ohne Energie und Nahrungsmittel) werden nun Anstiege von 3,3 (2,6), 2,8 (1,8) und 2,3 (1,9) Prozent prognostiziert.
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June 09, 2022 08:22 ET (12:22 GMT)
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