DJ IMK: Deutsche Wirtschaft wächst 2022 um 1,9 Prozent und 2023 um 2,6 Prozent
Von Andreas Kißler
BERLIN (Dow Jones)--Der anhaltende Krieg in der Ukraine, fortgesetzte Lieferkettenprobleme und eine schwächere globale Wirtschaftsentwicklung haben die konjunkturellen Aussichten in Deutschland für 2022 und 2023 laut dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) weiter eingetrübt und gleichzeitig den Inflationsdruck noch einmal erhöht. Das Institut der Hans-Böckler-Stiftung erwartet in seiner neuen Prognose für 2022 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,9 Prozent und für 2023 um 2,6 Prozent. Damit veranschlagt es nun nach eigenen Angaben 0,2 respektive 0,6 Prozentpunkte weniger als im März.
Weiter relativ positiv entwickle sich der Arbeitsmarkt: Die Zahl der Erwerbstätigen wird laut IMK 2022 und 2023 spürbar steigen, die Arbeitslosenquote sinkt im Jahresschnitt 2022 auf 5,0 und 2023 auf 4,7 Prozent, nach 5,7 Prozent 2021. Im Jahresmittel 2022 werden nach den Berechnungen rund 2,27 Millionen Menschen arbeitslos sein, 2023 dann rund 2,14 Millionen. Die Inflation sieht das IMK im Durchschnitt des laufenden Jahres bei 6,9 Prozent. Für 2023 rechnet das Institut mit einem Rückgang der Teuerungsrate auf 2,6 Prozent.
Die hohe Inflation drücke zwar auf die realen Einkommen. Da die privaten Haushalte aber deutlich weniger sparen und durch die Entlastungspakete spürbare staatliche Transfers fließen, wird der private Konsum nach Erwartung des IMK gestützt. Im Jahresmittel 2022 wächst er demnach um 2,9 Prozent, wobei dieser Durchschnittswert die Dynamik erheblich überzeichne. Im kommenden Jahr lege der private Konsum dann um 3,8 Prozent zu.
Das IMK erwartet, dass trotz weiterhin voller Auftragsbücher die Exporte 2022 leicht um 0,6 Prozent zurückgehen. Im kommenden Jahr erholen sich die Ausfuhren demnach aber und wachsen um 3,3 Prozent. Auch die Importentwicklung verlaufe deutlich gedämpft: Im Jahresmittel 2022 steigen die Einfuhren nach der Prognose um 2,5 Prozent und 2023 um 3,7 Prozent. Bei den Ausrüstungsinvestitionen wirkten sich Lieferengpässe und vor allem die hohe Unsicherheit in diesem Jahr ebenfalls stark negativ aus. Das IMK rechnet mit einem Wachstum um 0,3 Prozent. Für 2023 prognostiziert es dann aber ein Plus von 5,5 Prozent. Dabei spielten neben wieder verstärkten Erweiterungsinvestitionen der Industrie auch die höheren Verteidigungsausgaben eine Rolle.
Risiken sind außergewöhnlich hoch
Das Institut ging in seinem Prognose-Update davon aus, dass der Krieg in der Ukraine nicht noch weiter eskaliert, dass es zu keinen anhaltenden Unterbrechungen der Gaslieferungen aus Russland kommt und im Prognosezeitraum keine neuen großen Corona-Wellen zu deutlichen Einschränkungen führen. Daraus ergebe sich aber natürlich auch, dass die "Risiken für die wirtschaftliche Entwicklung außergewöhnlich hoch" seien. In der kurzen Frist der kommenden Monate signalisiere der IMK-Konjunkturindikator sogar ein erhebliches Rezessionsrisiko. Nach dem schwachen ersten Quartal 2022 werde sich die deutsche Wirtschaft dementsprechend auch im Sommer nur verhalten entwickeln.
Erst ab Herbst rechnen die Düsseldorfer Konjunkturfachleute mit einer Belebung. Neben einer gewissen Entspannung bei den Lieferketten und anziehenden Investitionen sei ein wichtiger Faktor dafür, dass im Spätsommer und im Herbst Zahlungen aus den beiden Entlastungspaketen der Bundesregierung für private Haushalte fließen werden. Insbesondere die größeren Einmalzahlungen wie Energiegeld und Kinderbonus würden dazu beitragen, den Konsum zu stabilisieren. "Das ist aber noch nicht ausreichend", erklärte das gewerkschaftsnahe Institut.
Die Lohnpolitik könne in diesem und im nächsten Jahr nicht allein für die nötige Kaufkraftsicherung sorgen, weil Zweitrundeneffekte oder eine Preis-Lohn-Spirale vermieden werden müssten. Nachzudenken sei hingegen darüber, ob Unternehmen Steuern auf Extraprofite zahlen sollten. "Im Rahmen der konzertierten Aktion gilt es auch auszuloten, welchen Beitrag die Unternehmen leisten können, wobei eine höhere Besteuerung von Extraprofiten, die nicht Folge von Innovationskraft, sondern von Knappheiten sind, geprüft werden sollte", so das IMK.
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June 22, 2022 06:27 ET (10:27 GMT)
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