ELMAU/MADRID/KIEW (dpa-AFX) - Es ist ein historischer Kraftakt für die Verteidigung der Ukraine: Nach der EU und der G7 will auch die Nato auf einem Gipfel am Mittwoch und Donnerstag mit aller militärischer und finanzieller Kraft auf den Angriffskrieg Russlands antworten. Beim dritten Gipfeltreffen binnen einer Woche plant die westliche Allianz an ihrer Ostgrenze Abschreckung durch Aufrüstung angesichts der Aggression des russischen Präsidenten Wladimir Putin.
Einen ersten großen Fortschritt gab es dazu bereits am Dienstagabend: Die Türkei gab ihren Widerstand gegen die Aufnahme von Schweden und Finnland in die Nato auf. Die Türkei werde während des Nato-Gipfels in Madrid die Einladung an Finnland und Schweden unterstützen, Bündnismitglied zu werden, teilte der finnische Präsident Sauli Niinistö mit. Ein entsprechendes Memorandum sei nach einem Treffen mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Schwedens Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan unterzeichnet worden.
Ebenfalls am Dienstagabend teilten Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) und ihre niederländische Amtskollegin Kasja Ollongren mit, dass die beiden Länder der Ukraine sechs weitere Modelle der Panzerhaubitze 2000 liefern werden. Damit wird die Ukraine nun insgesamt 18 Stück des Waffensystems erhalten - eine ausreichend große Zahl für ein komplettes Artilleriebataillon.
Die Gruppe der wirtschaftlich stärksten Demokratien (G7) sicherte der Ukraine zum Abschluss ihres dreitägigen Gipfels im bayerischen Elmau umfassende Hilfe zu - "solange es nötig ist." Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte als Gastgeber der G7-Staats- und Regierungschefs: "Wir sind uns einig: Präsident Putin darf diesen Krieg nicht gewinnen."
Kanzler Scholz, US-Präsident Joe Biden und deren Kollegen aus Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada reisten nach Madrid weiter, wo sie am Vorabend des Nato-Gipfels zu einem Empfang bei Spaniens König Felipe zu einem Gala-Dinner geladen waren. Zur G7 gehört auch Japan. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel nahmen ebenfalls am Gipfel im Alpenidyll teil.
Die anstehenden Beratungen der 30 Alliierten in Madrid stehen auch unter dem Eindruck des russischen Raketenangriffs am Montag auf ein Einkaufszentrum in der ukrainischen Stadt Krementschuk. Nach Angaben der örtlichen Behörden starben mindestens 18 Menschen, 36 Menschen wurden noch vermisst. Die G7 verurteilte den Angriff.
Das russische Militär bestätigte in Moskau den Angriff, bestritt aber, dass das Einkaufszentrum in Betrieb gewesen sei. Es habe einen Luftangriff auf Hallen in der Nähe gegeben, wo aus den USA und Europa gelieferte Waffen gelagert gewesen seien. Die Detonation habe dann den Brand "in einem nicht mehr betriebenen Einkaufszentrum" ausgelöst. Die Kämpfe im Osten der Ukraine gingen auch im fünften Kriegsmonat unvermindert weiter.
Hier sind zusammengefasst die wichtigsten Ergebnisse des G7-Gipfels:
- Ukraine-Hilfe: Scholz versicherte, man werde "die wirtschaftlichen und politischen Kosten für Präsident Putin und sein Regime hochhalten und in die Höhe treiben." Der SPD-Politiker verwies auf Beschlüsse zur Unterstützung mit Budgethilfen von rund 29 Milliarden US-Dollar. Hinzu komme weitere humanitäre und militärische Hilfe.
- Nahrungsmittelhilfe: Die G7-Staaten stemmen sich mit weiteren 4,5 Milliarden US-Dollar (4,27 Mrd Euro) gegen drohende Hungersnöte wegen des Ukraine-Kriegs. Besonders in Ländern Afrikas sei die Ernährungskrise eine "existenzielle Bedrohung" geworden, sagte Scholz. Die G7 rief Russland auf, die Blockade ukrainischer Häfen zu beenden. Die Ukraine und Russland gehören zu den größten Weizen-Exporteuren weltweit.
- Preisstopp für russisches Öl: Um gegen steigende Energiepreise anzugehen, will die G7 einen Preisdeckel auf russisches Öl prüfen. Nach Einschätzung von Scholz erfordern die Pläne noch viel Arbeit. Sie sehen vor, Russland zu zwingen, Öl künftig für einen deutlich niedrigeren Preis an große Abnehmer wie Indien zu verkaufen. In der EU und auch in den USA sind die hohen Spritpreise derzeit großes Thema.
- Kampf gegen den Klimawandel: Rückendeckung bekam Scholz für seine Idee zur Einrichtung eines internationalen Klimaclubs. Man unterstütze einen solchen "offenen und kooperativen" Zusammenschluss und wolle ihn bis Ende 2022 einrichten, hieß es in der G7-Erklärung. Der Club soll vor allem die Minderung von Treibhausgas-Emissionen zum Ziel haben. Scholz sagte: "Wir sind uns alle einig, wo die Zukunft liegt, nämlich nicht beim Gas."
Darum geht es beim zweitägigen Nato-Gipfel in Madrid:
- Nord-Erweiterung: Die Aufnahme Finnlands und Schwedens ist mit dem Ende der türkischen Blockade deutlich näher gerückt, der Beitrittsprozess kann nun voranschreiten. Ursprünglich gab es die Hoffnung, dass Finnland und Schweden noch in diesem Jahr offizielle Nato-Mitglieder werden können. Der Streit mit der Türkei hatte Zweifel aufgeworfen, ob dieser lose Zeitplan hält. Nach dem Abschluss des Aufnahmeverfahrens innerhalb der Nato müssen die Beitrittsprotokolle von den Parlamenten in allen 30 Bündnisstaaten ratifiziert werden, was Schätzungen von Diplomaten zufolge innerhalb von sechs bis acht Monaten abgeschlossen sein dürfte.
- Drastische Vergrößerung der schnellen Eingreiftruppe: Die Nato will angesichts der russischen Aggression die Zahl ihrer schnellen Eingreifkräfte von rund 40 000 auf mehr als 300 000 erhöhen. Die Alliierten wollen über diesen Umbau der bisherigen Nato-Eingreiftruppe NRF beraten. Sie ist seit Monaten in Alarmbereitschaft. Die Transformation ist Teil eines neuen Streitkräfte-Modells für das gesamte Bündnisgebiet./DP/jha