
DJ EZB/Nagel: Angemessenheit von Spreads kaum in Echtzeit feststellbar
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--EZB-Ratsmitglied Joachim Nagel hat Bedingungen für seine Zustimmung zu einem Kaufprogramm genannt, mit dem die Europäische Zentralbank (EZB) die Differenzen (Spreads) von Staatsanleihen hoch verschuldeter Euro-Länder gegenüber Bundesanleihen begrenzen könnte. In einer Rede beim Frankfurt Euro Finance Summit deutete Nagel laut veröffentlichtem Redetext an, dass er nicht alle diese Bedingungen für ohne weiteres erfüllbar hält. Zuvor hatte die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf informierte Personen gemeldet, dass Nagel sich bei der Sondersitzung des EZB-Rats am 15. Juni gegen ein so genanntes Antifragmentierungsinstrument ausgesprochen habe.
Folgende Bedingungen nannte der Bundesbankpräsident: Erstens seien die Zinsabstände in der beobachteten Höhe fundamental nicht gerechtfertigt. Das heiße, dass sie das Resultat von Übertreibungen auf den Finanzmärkten seien. Zweitens kämen die geldpolitischen Signale in einzelnen Mitgliedstaaten nicht wie intendiert an. Das heiße, der Transmissionsmechanismus sei beeinträchtigt. Drittens sei dadurch die Fähigkeit des Eurosystems eingeschränkt, Preisstabilität für den Euroraum zu gewährleisten.
Nagel meldet gleich beim ersten Punkt Zweifel an: "Es ist in Echtzeit so gut wie unmöglich, sicher festzustellen, ob eine Spread-Ausweitung fundamental gerechtfertigt ist", sagte er. Hier gerate man schnell in gefährliches Fahrwasser. "Ein etwaiges Instrument würde eine umfassende und regelmäßige Analyse voraussetzen, die einen breiten Satz von Indikatoren einbezieht." Laut Nagel wäre es "fatal, wenn die Regierungen davon ausgingen, dass am Ende schon das Eurosystem bereitsteht, günstige Finanzierungskonditionen für die Staaten abzusichern".
Entsprechend mahne er auch zur Vorsicht, mit geldpolitischen Instrumenten Risikoprämien begrenzen zu wollen. "Allenfalls in Ausnahmesituationen und unter eng gesteckten Voraussetzungen lassen sich ungewöhnliche geldpolitische Maßnahmen gegen Fragmentierung rechtfertigen. Es kann aus meiner Sicht also nur um ein klar eingegrenztes Instrument gehen", sagte Nagel.
"Zentral" wäre seiner Meinung nach, diese Maßnahme zeitlich eng zu begrenzen. Gegen ein Antifragmentierungsinstrument spricht Nagel zufolge aber auch, dass es bereits das OMT-Programm gibt. Outright Monetary Transaction (OMT ) sei an klare Voraussetzungen gebunden, was auch aus rechtlicher Sicht wichtig sei. "Der Europäische Gerichtshof und das Bundesverfassungsgericht haben OMT überprüft und deren Ausgestaltung für rechtmäßig befunden", sagte der Bundesbankpräsident.
Nagel zufolge muss die EZB sicherstellen, dass ein Einsatz des Instruments den geldpolitischen Kurs nicht verändert. Es müssten gegebenenfalls gleichzeitig Maßnahmen ergriffen werden, die die Auswirkungen auf den geldpolitischen Kurs neutralisierten. Um mit dem EZB-Mandat vereinbar zu sein, müsse ein neues Instrument ausschließlich geldpolitisch begründet sein, den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren und ausreichende Garantien enthalten, damit es nicht in Konflikt mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung gerate. "Hier müsste man auch erläutern, wie sich ein neues Instrument vom OMT abgrenzt", sagte Nagel.
Schließlich müssten die Mitgliedstaaten laut Nagels Aussage weiterhin genügend Anreize haben, ihre Finanz- und Wirtschaftspolitik nachhaltig auszurichten und Schuldenstände zu verringern. "Eine wirksame fiskalische Konditionalität ist hier unverzichtbar."
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July 04, 2022 10:00 ET (14:00 GMT)
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