DJ IWF senkt Deutschlands Wachstumsprognosen deutlich
Von Hans Bentzien
FRANKFURT/WASHINGTON (Dow Jones)--Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat seine Wachstumsprognosen für Deutschland wegen des russischen Krieges gegen die Ukraine erneut deutlich gesenkt und davor gewarnt, dass ein kompletter Stopp russischer Gaslieferungen und erneut steigende Corona-Infektionszahlen zu einem noch schwächeren Ergebnis führen könnten. Wie der IWF zum Abschluss von Artikel-4-Konsultationen mitteilte, rechnet er für 2022 und 2023 nur noch mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,2 und 0,8 Prozent. Im Mai hatte er noch Wachstumsraten von "rund" beziehungsweise "gut" 2 Prozent vorausgesagt.
"Der Krieg in der Ukraine hat neuen Gegenwind gebracht, darunter eine Drosselung der Gaslieferungen aus Russland, höhere Energiepreise, eine Verknappung wichtiger Vorleistungen, eine schwächere Auslandsnachfrage und ein schlechteres Geschäftsklima sowie ungünstigere Finanzierungsbedingungen", heißt es in dem Bericht. Die Unsicherheiten sind laut IWF sehr hoch, wobei die Risiken für die Wachstumsprognose eher nach unten und die Risiken für die Inflationsprognose eher nach oben gerichtet sind. Der IWF erwartet Inflationsraten von 7,7 und 4,8 Prozent.
Alternativszenario mit frühem Gaslieferstopp zeigt BIP-Rückgänge
Alternativ hat der IWF ein Szenario durchgerechnet, in dem Europa bereits am 1. Juni komplett und für immer von der russischen Gasversorgung abgeschnitten worden wäre. Dies hätte laut IWF zu einer Gasverknappung von 9 Prozent des nationalen Verbrauchs in der zweiten Hälfte des Jahres 2022, von 10 Prozent im Jahr 2023 und von 4 Prozent im Jahr 2024 geführt. Die Auswirkungen des geringeren Gasangebots für die Produktion wurden in diesem Szenario mit den Auswirkungen der verringerten Lieferung von Zwischenprodukten und Dienstleistungen für nachgelagerte Unternehmen und mit einer geringeren Wirtschaftstätigkeit aufgrund steigender Unsicherheit kombiniert.
Zusammengenommen verringern diese drei Kanäle das deutsche BIP im Vergleich zum Ausgangsniveau um 1,5 Prozent im Jahr 2022, 2,7 Prozent im Jahr 2023 und 0,4 Prozent im Jahr 2024. Der damit verbundene Anstieg der Großhandelspreise für Gas könnte die Inflation in den Jahren 2022 und 2023 im Durchschnitt um etwa 2 Prozentpunkte erhöhen.
Der IWF hält den Plan der Bundesregierung, 2023 wieder zur sogenannten Schuldenbremse zurückzukehren, für umsetzbar. Er rät aber dazu, flexibel zu bleiben und die Fiskalpolitik falls erforderlich kurzfristig anzupassen.
Deutscher Finanzsektor "weitgehend widerstandsfähig"
Im Rahmen seines Financial Sector Assessment Programme (FSAP) hat der IWF außerdem erstmals seit 2016 die Stabilität des deutschen Finanzsektors überprüft. Laut seinem aktuellen Urteil sind die Banken "weitgehend widerstandsfähig" gegenüber Solvenz- und Liquiditätsschocks.
Seit dem vorigen FSAP hätten die Behörden die mikroprudenziellen Rahmenbedingungen für Banken und Versicherungen, die Abwicklungsplanung und die Krisenvorsorge gestärkt. "Die geringe Rentabilität der Banken bleibt jedoch eine Quelle der Anfälligkeit, und Stresstests zeigen bei einigen Banken unter ungünstigen Szenarien Defizite bei Eigenkapital und Dollar-Liquidität."
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July 20, 2022 10:00 ET (14:00 GMT)
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