DJ NORD STREAM BLOG/Netzagentur: Geringe Gasflüsse bedrohen Speicher-Ziele
Informationen, Kommentare und Einschätzungen zur Wiederaufnahme der russischen Gaslieferungen über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 nach Deutschland:
Netzagentur: Geringere Gasflüsse könnten Deutschland Speicher-Ziele kosten
Deutschland wird laut Bundesnetzagentur seine für den Herbst geplanten Gasspeicherstände nicht ohne zusätzlichen Maßnahmen erreichen können, sollten die russischen Gaslieferungen über Nord Stream 1 auf dem aktuellen Niveau verharren. In ihrem täglichen Lagebericht sagte die Behörde, dass die Gasflüsse aus der Pipeline seit Beendigung der Wartungsarbeiten bei etwa 40 Prozent der Maximalleistung lägen. "Sollten die russischen Gaslieferungen über Nord Stream 1 weiterhin auf diesem niedrigen Niveau verharren, ist ein Speicherstand von 90 Prozent bis November kaum mehr ohne zusätzliche Maßnahmen erreichbar", so der Bericht. Von der Reduktion sei die Weitergabe von Gas in andere europäische Länder wie zum Beispiel Frankreich, Österreich und Tschechien betroffen. Die deutschen Gasspeicher sind aktuell zu 65,1 Prozent gefüllt.
Moskau wirft Westen alleinige Verantwortung für Probleme bei Gaslieferungen vor
Die Regierung in Moskau hat für Probleme mit der Lieferung von russischem Erdgas westliche Sanktionen verantwortlich gemacht. Der Vorwurf, der Kreml nutze Erdgas, um andere Länder zu erpressen, sei "vollkommen" unbegründet, sagte Sprecher Dmitri Peskow vor Journalisten. Am Donnerstag war durch die russisch-deutsche Pipeline Nord Stream 1 nach Ende mehrtägiger Wartungsarbeiten wieder Erdgas geströmt. Den ersten Daten des deutschen Gasnetzbetreibers Gascade zufolge entspricht die Menge jener von vor den Arbeiten - beläuft sich also auf etwa 40 Prozent der Höchstkapazität der Pipeline. Alle "technischen Schwierigkeiten" bei Gaslieferungen lägen an "den Restriktionen, die europäische Staaten selbst eingeführt haben", sagte Peskow nun. Die Sanktionen würden "Reparationen an der Ausrüstung" verhindern, insbesondere an "Turbinen in Verdichterstationen". Peskow bekräftigte zudem die kürzlich von Präsident Wladimir Putin getätigte Aussage, Russland werde "all seine Verpflichtungen" erfüllen.
DIW: Russland kann sich kompletten Gaslieferstopp nicht leisten
Die Energieökonomin Claudia Kemfert sieht in den wieder angelaufenen Gaslieferungen durch Nord Stream 1 einen Beleg für die russische Abhängigkeit von Gasexporten nach Europa. "Dass Russland wieder Gas liefert - wenn auch gedrosselt -, schafft für den deutschen Gasmarkt Entspannung. Es ist aber auch Ausdruck davon, dass Russland den Bogen nicht überspannen kann, insbesondere aus wirtschaftlichen, aber vor allem politischen Gründen", sagte die Energieexpertin vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) der Rheinischen Post. "Wenn es weiterhin gelingt, Gas einzusparen, können wir die Speicher bis zu 90 Prozent zum November füllen. Das Verhalten Russlands zeigt, wie abhängig Russland selbst von den Gasverkäufen nach Europa ist." Laut Kemfert würde ein kompletter Lieferstopp erhebliche Einnahmeverluste für Russland bedeuten. Dieses Risiko könne Russland nicht eingehen. Zudem würde ein Lieferstopp die Energiewende hierzulande noch weiter beschleunigen und die Unabhängigkeit Deutschlands von Russland weiter voranbringen.
Mittelstandsunion fordert Weiterbetrieb von Kernkraftwerken
Angesichts der unsicheren Gasversorgungslage fordert die Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) eine sofortige Entscheidung der Bundesregierung für eine Laufzeitverlängerung. "Aktuell fließt wieder etwas Gas aus Russland. Aber es hängt ein Damoklesschwert über Nord Stream 1. Denn der Hahn der Gaspipeline kann jederzeit abgedreht werden. Die Unsicherheit zeigt, wie abhängig wir von Russland sind. Deshalb muss die Regierung die Laufzeitverlängerung der verbliebenen deutschen Kernkraftwerke jetzt endlich vorbereiten", fordert MIT-Chefin Gitta Connemann (CDU). Aktuell würde ein Drittel des russischen Erdgases verstromt. Kernkraftwerke könnten einen Teil dieser Gasverstromung ersetzen. "Ein Verzicht auf dieses Potential ist nicht nur töricht, sondern verantwortungslos", so Connemann. Sie fordert Bundesenergieminister Robert Habeck (Grüne) auf, angesichts der Energiekrise grüne Tabus und Ideologien zu überwinden.
VKU: Wiederaufnahme der Gaslieferungen kein Zeichen der Entspannung
Der Verband der kommunalen Unternehmen (VKU) sieht in der Wiederaufnahme der Gaslieferungen über Nord Stream 1 keine Entwarnung. Deutschland müsse alles dafür tun, dass die Gasspeicher wie geplant bis zum 1. November zu 90 Prozent gefüllt würden. "Die reduzierten Lieferungen zeigen: Putin setzt Gas als Waffe in seinem Wirtschaftskrieg ein. Insgesamt bleibt die Lage damit angespannt und unsicher", sagte VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin. "Wichtig ist, dass wir alle - Politik, Energiewirtschaft, Wirtschaft insgesamt und Bürgerinnen und Bürger - jetzt nicht nachlassen, sondern für den Ernstfall im Winter vorsorgen." Alle Maßnahmen zum Gaseinsparen dienten der Vorsorge und letztlich auch der eigenen Verteidigung.
Bundesnetzagentur: Gasflüsse höher als erwartet
Die russischen Gasflüsse über die Gaspipeline Nord Stream 1 liegen nach dem Ende der Wartungsarbeiten etwas höher als zunächst angekündigt. Nach Angaben des Chefs der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, liegen die realen Gasflüsse über der ursprünglichen Nominierung und könnten das Vor-Wartungsniveau von rund 40 Prozent Auslastung erreichen. "Die politische Unsicherheit und die 60-prozentigen Kürzung von Mitte Juni bleiben leider bestehen", erklärte Müller auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Die Auslastung liegt aktuell laut Müller bei rund 700 Gigawattstunden.
Ifo-Chef Fuest rechnet mit reduzierter Gaslieferung
Der Chef des Ifo-Institutes, Clemens Fuest, rechnet nach dem Ende der Nord-Stream-1-Wartung mit reduzierten Liefermengen aus Russland. "Ich rechne damit, dass Russland die Lieferungen allenfalls anteilig wieder aufnimmt und versucht, durch ständige Verunsicherung über die Gasversorgung die politische Unterstützung der Bevölkerung für die Ukraine zu erschüttern", sagte Fuest der Rheinischen Post. "Auch deshalb ist es entscheidend, dass wir uns entschlossen darauf vorbereiten, ohne weiteres russisches Gas durch den Winter zu kommen." Der Ifo-Chef sieht Deutschland in einer schlechten Lage: "Europa und insbesondere Länder wie Deutschland und Italien sind schlecht auf ein Ende der russischen Gaslieferungen vorbereitet. Insofern wäre es eine große Entlastung, wenn die Gaslieferungen wieder aufgenommen würden. Allerdings dürfen wir uns, wenn es so kommt, keinesfalls in Sicherheit wiegen."
Gaslieferung durch Pipeline Nord Stream 1 wieder aufgenommen
Nach Beendigung der Wartungsarbeiten fließt wieder Erdgas durch die deutsch-russische Pipeline Nord Stream 1. "Es läuft an", sagte ein Sprecher der Betreibergesellschaft Nord Stream AG am Donnerstagmorgen der Nachrichtenagentur AFP, ohne genauere Angaben zur Liefermenge zu machen. Der Chef der Bundesnetzagentur Klaus Müller schrieb im Kurzbotschaftendienst Twitter, die vom russischen Gaskonzern Gazprom angekündigte Gasmenge liege bei 30 Prozent der möglichen Auslastung. Die angemeldete Menge sei für die ersten zwei Stunden verbindlich, Veränderungen während des Tages wären "sehr ungewöhnlich", fuhr Müller fort.
Netzwerkbetreiber erwartet Lieferung für Donnerstag
Nach zehn Tagen Unterbrechung sind für Donnerstag wieder Gaslieferungen durch die Pipeline Nord Stream 1 angekündigt. Dies schreibt der Netzwerkbetreiber Gascade auf seiner Internetseite. Das Unternehmen unterhält die beiden Empfangsterminals der Pipeline in Mecklenburg-Vorpommern. Genauere Angaben zu den erwarteten Mengen gab es zunächst nicht. Die Bundesregierung befürchtet, dass Russland nach dem Ende der Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1 die Gaslieferungen erneut drosselt oder ganz beendet. Am Mittwoch allerdings hatte Russlands Präsident Wladimir Putin angekündigt, dass der Konzern Gazprom seine Verpflichtungen "in vollem Umfang" erfüllen werde. "Gazprom hat seine Verpflichtungen erfüllt, erfüllt sie jetzt und wird sie auch in Zukunft erfüllen", sagte Putin in Teheran.
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July 21, 2022 07:45 ET (11:45 GMT)
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