DJ Scholz und Macron wollen souveränes Europa - Annäherung beim EU-Strommarkt
Von Andrea Thomas
BERLIN (Dow Jones)--Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben sich nach ihrem zweitägigen Treffen in Hamburg für ein starkes und souveränes Europa stark gemacht. Man wolle trotz Differenzen in Energiefragen gemeinsam die Dekarbonisierung Europas bis zur Mitte des Jahrhunderts erreichen und die Wettbewerbsfähigkeit der Region sichern, wie Scholz und Macron versicherten. Der französische Präsident stellte in der Debatte um den EU-Strommarkt außerdem eine Einigung bis Ende Oktober in Aussicht.
Die Kabinette beider Länder hatten sich zuvor erstmals zu einer zweitägigen Klausur in Hamburg getroffen. Bei dem Treffen ging es schwerpunktmäßig um die Transformation beider Länder hin zur Klimaneutralität, um Künstliche Intelligenz und um die europäische Souveränität in Wirtschaftsfragen.
"Unsere Länder und unsere Gesellschaften stehen vor ganz ähnlichen Herausforderungen", sagte Scholz. "Ein starkes und souveränes Europa ist eine wichtige Voraussetzung dafür, damit wir bei all den globalen Veränderungen unseren Platz in Welt sichern können."
Er betonte, dass Deutschland mit Frankreich an einer europäischen Regulierung der Künstlichen Intelligenz arbeite. Beide wollten aber die "Entwicklung der KI nicht beeinträchtigen", so Scholz. Außerdem sei eine Verringerung der Bürokratie nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Europäischen Union insgesamt notwendig, so Scholz.
Macron sieht Willen zur europäischen Souveränität
Macron betonte, die Gesprächen seien von einem der gemeinsame Willen geprägt gewesen. Man wolle durch eine deutsch-französische Konvergenz ein Europa bauen, "das stärker, souveräner ist und in einer immer unübersichtlicheren Welt reagieren kann auf beunruhigende Entwicklungen für unsere Bevölkerung". Es gehe darum, dass "Europa wirklich zügig voranschreitet, um gute Investitionen zu tätigen, Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und ein wirklich souveräner Kontinent zu sein", so Macron.
Ziel sei eine Souveränität bei Rohstoffen, Verteidigung, Technologie und Wettbewerbsfähigkeit. Denn letztlich gehe es darum, die sozialen Gesellschaftsmodelle in Europa finanzieren zu können.
Wichtig sei zudem, dass dem Kapitalmarkt und der Banken-Union in Europa ein neuer Impuls gegeben werde. "Es geht hier um viele Investitionen", so Macron. Diese sollten Europa effizienter machen.
Frankreich sieht bei EU-Strommarkt bis Ende Oktober eine Einigung
Auf der Klausurtagung wurde auch über Fragen der Energiepolitik und des EU-Strommarktes gesprochen, wo Deutschland und Frankreich unterschiedliche Positionen haben. Während Frankreich vor allem auf Kernenergie setzt, will Deutschland seine Stromversorgung weitgehend auf erneuerbare Energie umstellen. Macron stellte zu den geplanten Änderungen am EU-Strommarkt eine Einigung bis Ende Oktober in Aussicht
Kurzfristig gehe es um die europäische Wettbewerbsfähigkeit in der Energiepolitik und um den Aufbau eines Modells, das bis 2050 Klimaneutralität ermöglicht, so Macron. Trotz sehr unterschiedlicher nationale Modelle hätten Deutschland und Frankreich hier "wirklich vertieft und sehr ermutigend" darüber diskutiert.
Man wolle "bis zum Ende des Monats zu einer notwendigen Einigung" gelangen, so Macron. Ein Gegeneinander von Atomstrom und erneuerbarer Energien werde nicht funktionieren.
Scholz betonte, es gehe darum, wie die Energiesysteme in Europa so zusammengebracht werden könnten, dass man daraus gute Wachstumsimpulse und geringe Strompreise generieren könnte.
"Auch dort sind wir sehr intensiv und sehr konstruktiv dabei, gemeinsame Lösungen zu entwickeln", so Scholz. Er sei sehr zuversichtlich, dass man vorankommen werde.
Frankreich will laut Medienberichten bei dem geplanten EU-Strommarktdesign, dass die besondere Förderung von Strom aus Erneuerbaren in der EU auch für Atomstrom gelten soll, da dieser CO2-arm sei. Deutschland sieht das kritisch. Mit sogenannten Differenzverträgen soll ein Garantiepreis je Kilowattstunde zwischen Staat und Stromerzeuger ausgehandelt werden, um so Anreize für Investitionen in klimafreundliche Anlagen zu setzen. Nach den Plänen gleicht der Staat die Differenz aus, wenn der Marktpreis unter dem Garantiepreis liegt. Sollte der Marktpreis darüber liegen, soll der Staat die Gewinne abschöpfen und reinvestieren.
Für Frankreich, das zu mehr als zwei Drittel Strom aus Atommeilern bezieht, würde ein niedriger Garantiepreis auch für bestehende Atomkraftwerke die Stromkosten für Industrie und Verbraucher günstig halten und bei teuren Strompreisen Geld für Investitionen in die eigenen alten Atommeiler bereitstellen. Deutschland befürchtet in diesem Fall einen Wettbewerbsvorteil zugunsten von Frankreichs Industrie.
Deutschland möchte hingegen einen hohen Garantiepreis, um so Investitionen in Erneuerbare anzulocken.
(Mitarbeit: Andreas Kißler)
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October 10, 2023 08:04 ET (12:04 GMT)
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