DJ EZB sieht "fragilen Ausblick" für Finanzstabilität
Von Hans Bentzien
FRANKFURT (Dow Jones)--Der Ausblick für die Finanzstabilität im Euroraum ist nach Einschätzung der Europäischen Zentralbank (EZB) fragil - und zwar unter anderem wegen der Folgen ihrer eigenen Geldpolitik. "Die strafferen Finanzkonditionen arbeiten sich in einem Umfeld schwachen Wachstums, hoher Inflation und erhöhter geopolitischer Spannungen langsam zur Realwirtschaft durch", heißt es im aktuellen Finanzstabilitätsbericht der EZB. "Die schwachen Wirtschaftsaussichten und die Folgen der hohen Inflation belasten die Fähigkeit von Menschen, Unternehmen und Regierungen, ihre Schulden zu bedienen", erklärte EZB-Vizepräsident Luis de Guindos zur Veröffentlichung des Berichts.
Die EZB müsse wachsam bleiben, während die Wirtschaft in ein Umfeld höherer Zinsen eintrete und die Unsicherheiten und geopolitischen Spannungen zunähmen. Finanzmärkte und Schattenbanken (non-bank financial institutions) sind nach Aussage der EZB weiterhin sehr anfällig für negative Entwicklungen, darunter solche der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. "Gleichzeitig bleiben Investmentfonds und andere Nicht-Banken-Finanzinstitute anfällig für Liquiditäts-, Kredit- und Leverage-Risiken. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, ihre Widerstandsfähigkeit aus einer makroprudenziellen Perspektive zu stärken.
Die EZB nimmt an, dass die strafferen Finanz- und Kreditkonditionen ihre Wirkung auf die Wirtschaftsaktivität noch nicht voll entfaltet haben. Bereits sichtbar seien sie allerdings auf den Immobilienmärkten. An den Wohnimmobilienmärkten sänken die Preise im Zuge steigender Hypothekenzinsen, und an den Gewerbeimmobilienmärkten werde der oben beschriebene Preiseffekt von einer strukturell niedrigeren Nachfrage nach Büro- und Einzelhandelsimmobilien verstärkt.
Mit Blick auf die Banken des Euroraums sieht die EZB drei Belastungen:
1. Ihre Finanzierungskosten dürften steigen, weil sie die höheren Zinsen nach und nach auch an ihre Einleger weitergeben würden. Zugleich dürfte sich ihre Finanzierung weg von Sichteinlagen und hin zu teureren Termineinlagen verschieben.
2. Die Asset-Qualität dürfte unter einer Kombination aus höheren Kosten des Schuldendienstes und schwächerem makroökonomischem Umfeld leiden.
3. Die Profitabilität dürfte unter deutlich niedrigeren Kreditvolumina aufgrund geringerer Kreditnachfrage und strengerer Kreditstandards leiden.
Die EZB appelliert an die nationalen Aufsichtsbehörden, die zusätzlichen Kapitalpuffer und kreditnehmerbezogenen Maßnahmen aufrechtzuerhalten. Zudem sei es wichtig, die Reformen des Eigenkapitalstandards Basel 3 vollständig umzusetzen. "Ein umfassendes und entschlossenes politisches Handeln, um strukturelle Schwachstellen im Nicht-Banken-Finanzsektor zu beseitigen, die etwa aus dem Liquiditätsrisiko oder der Verschuldung resultieren, ist nach wie vor erforderlich, um die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems zu erhöhen."
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November 22, 2023 04:00 ET (09:00 GMT)
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