
Eine Kolumne von Matthias Wolf, Gründer und Geschäftsführer der Goldpfad GmbH.
Es klingt ein bisschen so, als wolle die SPD mit dem Koalitionsvertrag das Land retten - aber eben nur ein bisschen. Es gibt zwar Rückenwind für die Wirtschaft, aber auch viel heiße Luft. Der Vertrag enthält neben guten Ansätzen leider unzählige Fußnoten, Vorbehalte und die typischen Wenns und Abers.
Da stellt sich die Frage: Wird hier mutige Wirtschaftspolitik betrieben? Oder doch eher Mut zur Mittelmäßigkeit demonstriert?
Im Mittelstand weht ein laues Lüftchen der Hoffnung. Die Regierung bekennt sich zwar zur Industrie als Rückgrat der Wirtschaft und zum Mittelstand als Innovationstreiber. Aber was bringt ein Lippenbekenntnis, wenn Unternehmern regelmäßig Steine in den Weg gelegt werden? Das Strompreispaket wäre eine große Hilfe, ist aber mit so vielen Bedingungen verknüpft, dass man es auch gleich als Konjunktiv-Paket bezeichnen könnte. Auch Kapitalfonds für Investitionen klingen vielversprechend, hängen aber vom Segen der EU und dem Haushalt ab.
Dabei bräuchte es gerade jetzt einen echten Schub: Seit 2017 ist die Investitionstätigkeit in Deutschland um 35?% gesunken. Die Lücke zwischen anderen europäischen Standorten wächst und wächst.
Dasselbe Spiel bei der Bürokratie. Digitalisierung soll es richten - und das ist zweifellos der korrekte Weg. Aber wer "Digitalisierung" nur ankündigt, statt sie zu leben, wird sich weiterhin im Formulardschungel verirren. Die Richtung stimmt, das Tempo nicht. Und auch beim Steuerrecht wirkt vieles wie ein halbherziger Frühjahrsputz: Körperschaftsteuer runter, degressive Abschreibung rein. Aber echte Strukturreformen? Fehlanzeige. Soli abschaffen? Fehlanzeige. Deutschland hat mit 47,9?% eine der höchsten Steuer- und Abgabenquoten in der OECD (Platz 2 von 38). Kein Wunder, dass Topinvestoren lieber anderswo anklopfen.
Dafür wird beim Thema Energie tatsächlich einmal etwas angepackt. Der Koalitionsvertrag enthält Maßnahmen, die exorbitante Stromkosten für eine energieintensive Industrie senken und das Land zu einem attraktiven Standort machen könnten. Aber wie so oft hängt alles von der Umsetzung ab - und da hat man als Unternehmer in Deutschland mittlerweile das Vertrauen in die politische Handlungsfähigkeit fast genauso verloren wie in den BER-Eröffnungstermin Nummer 6.
Geopolitisch gibt sich der Vertrag globalisierungstauglich, ohne dabei strategisch zu glänzen. Ja, der Schutz vor unlauterem Wettbewerb, vor Dumping-Produkten aus China, das wird gesehen. Aber was fehlt, ist der große strategische Wurf. Wo ist die China-Strategie? Wo die Vision für ein Europa, das sich selbst behaupten will zwischen Supermacht-USA und aufstrebendem Asien?
Die SPD - und mit ihr die Ampel - hat mit diesem Vertrag durchaus Weichen gestellt. Gründerförderung, steuerliche Anreize, mehr Digitalisierung, all das klingt nach Aufbruch. Doch es fehlt noch immer an Mut, Fokus und Tempo. Und so bleibt es ein Vertrag mit Potenzial und wenig Power.
Was bedeutet das für Unternehmer? Nun, sie sind aktuell mehr denn je gefragt, selbst das Steuer in die Hand zu nehmen. Denn von der Politik kommt zwar Unterstützung, aber kein echter Schub. Wer auf einen wirtschaftlichen Raketenstart gehofft hat, bekommt bestenfalls eine solide Mitfahrgelegenheit im Bummelzug der Deutschen Bahn.
Auch problematisch: Trotz denkbar schlechter Wahlergebnisse fehlt bei der SPD jede Spur von Demut. Dabei wäre die Verteilung der Ministerien im Verhältnis zur CDU/CSU ganz anders ausgefallen, wenn sie die Wählerschaft ernst genommen hätte. Das eigene Machtstreben scheint allerdings größer zu sein als das Bedürfnis, den Menschen zu zeigen: Wir haben verstanden. Und das ist in Zeiten erstarkender rechter Kräfte ein Spiel mit dem Feuer.
Aber vielleicht ist genau das der neue Realismus der SPD: Versprechen ohne Garantie, Ambitionen ohne Vision. Ein politischer Spagat zwischen Anspruch und Machbarkeit - und genau darin liegt das Risiko für unsere Demokratie und Europas finanzielle Stabilität. Denn wer zu oft auf halbem Weg stehen bleibt, landet irgendwann ganz hinten.
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