GAZA/TEL AVIV (dpa-AFX) - Das israelische Militär soll nach palästinensischen Angaben erneut Wartende in der Nähe eines Verteilzentrums für humanitäre Hilfsgüter im Gazastreifen getötet haben. Die von der Hamas kontrollierte Gesundheitsbehörde sprach von mehr als 50 Toten und rund 200 Verletzten im Süden des abgeriegelten Küstengebiets. Details nannte sie nicht.
Augenzeugen berichteten der Deutschen Presse-Agentur, Menschen seien teils zu Fuß, teils mit Fahrzeugen auf dem Weg zu einer Ausgabestelle gewesen, als die israelische Armee sie am Morgen in einem Gebiet zwischen den Städten Rafah und Chan Junis mit Artillerie beschossen habe.
Israels Armee: Einzelheiten des Vorfalls werden geprüft
Israels Armee teilte mit, ein Hilfstransporter sei bei Chan Junis stecken geblieben. Eine Menschenmenge habe sich in der Gegend, in der Israels Militär im Einsatz sei, versammelt und sich den Soldaten genähert. Der Armee seien Berichte über Verletzte durch israelischen Beschuss bekannt. "Die Einzelheiten des Vorfalls werden derzeit geprüft", hieß es in einer Mitteilung. Israels Armee "bedauert jeglichen Schaden, der unbeteiligten Personen zugefügt wird, und bemüht sich, den Schaden für sie so gering wie möglich zu halten". Gleichzeitig müsse das Militär die Sicherheit der israelischen Truppen gewährleisten. Angaben zu Toten machte die Armee nicht.
Die Informationen von Armee und Palästinensern ließen sich nicht unabhängig überprüfen. Aufnahmen des Vorfalls gibt es nicht. In palästinensischen Medien und sozialen Netzwerken wurde ein Video verbreitet, das teils blutüberströmte Opfer in einer Klinik zeigen soll. Die Echtheit dieser Aufnahmen ist nicht bestätigt.
Immer wieder Berichte über Tote und Verletzte bei Verteilzentren
Ein in der Stadt Gaza arbeitender Arzt der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nannte unbestätigte Berichte, wonach es mindestens 50 Opfer gab, darunter mehr als 20 Tote. Auch am Sonntag und Montag gab es nach WHO-Angaben Dutzende Patienten, die mit Schusswunden in Krankenhäusern ankamen. Viele hätten nicht überlebt. Die Überlebenden berichteten demnach, dass sie in der Nähe der Verteilzentren angegriffen worden seien.
Die Zentren werden von der von Israel und den USA unterstützten Stiftung Gaza Humanitarian Foundation (GHF) betrieben. Sie hatte ihre Arbeit im Mai nach einer fast dreimonatigen israelischen Blockade von Hilfslieferungen begonnen. Die Verteilung soll eine Alternative zum Einsatz der UN und internationaler Hilfsorganisationen sein.
Es gab mehrfach Berichte darüber, dass israelische Soldaten in der Nähe der Verteilzentren Schüsse abgegeben haben und Menschen ums Leben gekommen sind. Laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa sollen seit der Einführung des neuen Hilfsverteilungsmechanismus mehr als 300 Palästinenser bei dem Versuch, humanitäre Hilfe zu erhalten, ums Leben gekommen sein.
Stiftung GHF ist umstritten
Die GHF soll nach Angaben von Israel und den USA verhindern, dass sich die Terrororganisation Hamas humanitäre Hilfsgüter aneignet. Die Vereinten Nationen haben keine Hinweise, dass solche Diebstähle in großem Stil stattgefunden haben. Augenzeugen im abgeriegelten Gazastreifen haben in der Vergangenheit mehrfach bestätigt, dass Hamas-Mitglieder Hilfslieferungen gekapert hätten. GHF hat der Terrororganisation vorgeworfen, die Verteilung der Lebensmittel gezielt zu stören.
Die Stiftung ist umstritten. Sie verletzt nach UN-Angaben die humanitären Prinzipien der Neutralität, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit. Die Vereinten Nationen kritisieren den Hilfsmechanismus, auch weil die Verteilung in Zentren die Menschen gefährde, die auf dem Hin- und Rückweg teils kilometerweit durch Kriegsgebiet laufen müssten.
Gesundheitssektor in Gaza vor dem Kollaps
Nach Angaben der WHO stehen die 17 der 36 Krankenhäuser im Gazastreifen, die noch minimale Dienste anbieten, vor dem Kollaps. Vor allem fehle Treibstoff, wie WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus auf X schrieb. Israel blockiert die Einfuhr von Treibstoff und erlaubt es der WHO nach Angaben von Tedros auch nicht, letzte Reserven aus Lagern in Bereichen des Gazastreifens zu holen, die Israel als Evakuierungszone deklariert hat. Das umfasst nach UN-Angaben 80 Prozent des Territoriums.
Ohne Treibstoff könnten Operationssäle, Dialysemaschinen und Brutkästen nicht betrieben, Medikamente nicht gekühlt und Wasser nicht abgekocht werden. "Feuerpause. JETZT", schrieb Tedros./cir/DP/jha