Bern (ots) -
Das Gehirn kann sich an einen künstlichen dritten Arm gewöhnen, allerdings erst einmal für einfache Aufgaben, wie eine Studie zeigt. Doch bleibt der Traum, dass dereinst Feinmechanikerinnen und Chirurgen davon profitieren können.
In einem Labor lernen 20 Versuchspersonen, einen künstlichen Arm zu benutzen. Das rudimentäre Körperglied mit Greifmechanismus ist an einem Tisch neben den sitzenden Testpersonen angebracht. Sie steuern es mit einem über dem Zwerchfell angebrachten Gürtel. Wenn Sie ausatmen, bewegt sich der Arm nach vorn, beim Einatmen nach hinten.
Die Teilnehmenden versuchen sich an verschiedenen Aufgaben wie etwa einen Block aufheben, Knöpfe drücken oder Schieberegler bewegen. Die vom SNF unterstützten Forschenden wollen so herausfinden, inwieweit das Gehirn lernen kann, solche Roboterarme wie natürliche Arme zu kontrollieren. Das Team der EPFL hatte in früheren Studien bereits demonstriert, dass die Teilnehmenden etwa virtuelle Arme steuern sowie mit einem einfachen Roboterarm auf Objekte zeigen konnten. Nun ist es einen Schritt weiter und untersucht die Fähigkeit zum Greifen.
Das von Postdoc David Leal koordinierte Team hat eine gleichsam banale wie komplexe Fertigkeit gemessen: das Generalisieren von Aufgaben. "Bei einem natürlichen Körperglied machen wir das automatisch", erklärt Silvestro Micera, Hauptautor der Studie. "Wenn ein Kind lernt, einen bestimmten Gegenstand zu greifen, muss es dies danach für andere Gegenstände nicht mehr lernen. Das Gehirn verinnerlicht das Prinzip des Bewegungsablaufs und generalisiert es für andere Gegenstände."
Multitasking kaum möglich
Laut Micera zeigt die Fähigkeit des Gehirns, Aufgaben mit einem künstlichen Arm zu generalisieren, dass es in der Lage ist, diesen zu integrieren - also ihn effektiv als integralen Bestandteil des Körpers zu nutzen. "Das ist ein Hinweis darauf, dass das Gehirn eine robotische Gliedmasse wirklich kontrollieren kann."
Die Studie macht deutlich, dass Generalisierung tatsächlich stattfindet. Die Teilnehmenden übten zunächst, so schnell wie möglich Klötze zu bewegen - gleichzeitig mit ihrem natürlichen und dem künstlichen Arm. In einer zweiten Phase konnten sie im Vergleich zu ungeübten Teilnehmenden verschiedene andere Objekte sowohl mit dem natürlichen als auch mit dem robotischen Arm schneller und präziser manipulieren.
Mit anderen Worten: Was bei einer natürlichen Gliedmasse eine wirksame Generalisierung herbeiführt, hatte bei der Roboterversion denselben Effekt. Allerdings ist die Generalisierung umso geringer, je weiter weg die Aufgaben der Testphase vom Training sind. Dies gilt besonders in einem Multitasking-Kontext. Zum Beispiel fällt es den Teilnehmenden schwer, das Greifen von Objekten mit dem künstlichen Arm zu generalisieren, wenn sie gleichzeitig mit den Händen auf einer Tastatur tippen müssen.
Laut Micera deutet dieses Ergebnis darauf hin, dass die Generalisierung mit der künstlichen Gliedmasse schwieriger zu erreichen ist und möglicherweise auf sehr ähnliche Aufgaben beschränkt bleibt. Und er fügt hinzu, dass vielleicht das Training auch nicht optimal war.
Präzisere Forschung zu invasiv
Bisher beschäftigen sich erst relativ wenige Forschende mit der Ergänzung von Menschen durch Robotergliedmassen. In den USA und Europa arbeitet lediglich eine Handvoll Forschungsgruppen auf diesem Gebiet und diese vor allem an der Integration künstlicher Finger. Dennoch hat der Ansatz Potenzial."Man kann sich viele Berufe vorstellen, in denen ein zusätzlicher Arm nützlich sein könnte: In der Rettungsmedizin, der Feinmechanik oder der Chirurgie, damit es keine Hilfspersonen mehr braucht, die Instrumente reichen", erklärt Micera. Er betont jedoch, dass solche Anwendungen noch länger nicht im Alltag Einzug halten werden.
Das grösste Defizit ist die zu ungenaue Steuerung. Zwar kann die Bedienung eines künstlichen Arms über das Zwerchfell sicher noch verbessert werden, sie wird aber niemals an die Präzision einer natürlichen Gliedmasse heranreichen. Um dieses Hindernis zu überwinden, könnte eine invasive Schnittstelle - etwa Elektroden in der Großhirnrinde - eine langfristige Lösung darstellen: Sie müsste implantiert werden, um Hirnsignale in ausführbare Befehle für den Arm zu übersetzen. Doch das ist derzeit und in naher Zukunft nicht möglich.
Micera denkt bei seiner Forschungsarbeit nicht in erster Linie an futuristische Szenarien mit verbesserten Menschen, sondern er will das Gehirn, seine Schnittstellen und die Neubildung von Vernetzungen mit dem übrigen Körper besser verstehen.
"Für mich ist es primär eine neurowissenschaftliche Frage", sagt er. "Wenn wir verstehen, wie das Training mit einem künstlichen Arm optimiert und beschleunigt werden kann, entdecken wir vielleicht nützliche Grundsätze für die Rehabilitation, zum Beispiel für Patientinnen und Patienten mit Lähmungen nach einem Schlaganfall."
S. Micera et al.: Exploring Skill Generalization with an Extra Robotic Arm for Motor Augmentation. Wiley Advanced (2025) (https://doi.org/10.1002/aisy.202500086).
Der Text dieser News und weitere Informationen stehen auf der Webseite (https://www.snf.ch/de/aASJnfJDYq8mpmj6/news/was-waere-wenn-wir-einen-dritten-arm-haetten) des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung.
Pressekontakt:
Silvestro Micera
EPFL Campus Biotech bâtiment B3
Ch. des Mines 9
1202 Genéve
Tel.: +41 21 693 10 47
E-Mail: silvestro.micera@epfl.ch
Original-Content von: Schweizerischer Nationalfonds / Fonds national suisse, übermittelt durch news aktuell
Originalmeldung: https://www.presseportal.ch/de/pm/100002863/100932888
Das Gehirn kann sich an einen künstlichen dritten Arm gewöhnen, allerdings erst einmal für einfache Aufgaben, wie eine Studie zeigt. Doch bleibt der Traum, dass dereinst Feinmechanikerinnen und Chirurgen davon profitieren können.
In einem Labor lernen 20 Versuchspersonen, einen künstlichen Arm zu benutzen. Das rudimentäre Körperglied mit Greifmechanismus ist an einem Tisch neben den sitzenden Testpersonen angebracht. Sie steuern es mit einem über dem Zwerchfell angebrachten Gürtel. Wenn Sie ausatmen, bewegt sich der Arm nach vorn, beim Einatmen nach hinten.
Die Teilnehmenden versuchen sich an verschiedenen Aufgaben wie etwa einen Block aufheben, Knöpfe drücken oder Schieberegler bewegen. Die vom SNF unterstützten Forschenden wollen so herausfinden, inwieweit das Gehirn lernen kann, solche Roboterarme wie natürliche Arme zu kontrollieren. Das Team der EPFL hatte in früheren Studien bereits demonstriert, dass die Teilnehmenden etwa virtuelle Arme steuern sowie mit einem einfachen Roboterarm auf Objekte zeigen konnten. Nun ist es einen Schritt weiter und untersucht die Fähigkeit zum Greifen.
Das von Postdoc David Leal koordinierte Team hat eine gleichsam banale wie komplexe Fertigkeit gemessen: das Generalisieren von Aufgaben. "Bei einem natürlichen Körperglied machen wir das automatisch", erklärt Silvestro Micera, Hauptautor der Studie. "Wenn ein Kind lernt, einen bestimmten Gegenstand zu greifen, muss es dies danach für andere Gegenstände nicht mehr lernen. Das Gehirn verinnerlicht das Prinzip des Bewegungsablaufs und generalisiert es für andere Gegenstände."
Multitasking kaum möglich
Laut Micera zeigt die Fähigkeit des Gehirns, Aufgaben mit einem künstlichen Arm zu generalisieren, dass es in der Lage ist, diesen zu integrieren - also ihn effektiv als integralen Bestandteil des Körpers zu nutzen. "Das ist ein Hinweis darauf, dass das Gehirn eine robotische Gliedmasse wirklich kontrollieren kann."
Die Studie macht deutlich, dass Generalisierung tatsächlich stattfindet. Die Teilnehmenden übten zunächst, so schnell wie möglich Klötze zu bewegen - gleichzeitig mit ihrem natürlichen und dem künstlichen Arm. In einer zweiten Phase konnten sie im Vergleich zu ungeübten Teilnehmenden verschiedene andere Objekte sowohl mit dem natürlichen als auch mit dem robotischen Arm schneller und präziser manipulieren.
Mit anderen Worten: Was bei einer natürlichen Gliedmasse eine wirksame Generalisierung herbeiführt, hatte bei der Roboterversion denselben Effekt. Allerdings ist die Generalisierung umso geringer, je weiter weg die Aufgaben der Testphase vom Training sind. Dies gilt besonders in einem Multitasking-Kontext. Zum Beispiel fällt es den Teilnehmenden schwer, das Greifen von Objekten mit dem künstlichen Arm zu generalisieren, wenn sie gleichzeitig mit den Händen auf einer Tastatur tippen müssen.
Laut Micera deutet dieses Ergebnis darauf hin, dass die Generalisierung mit der künstlichen Gliedmasse schwieriger zu erreichen ist und möglicherweise auf sehr ähnliche Aufgaben beschränkt bleibt. Und er fügt hinzu, dass vielleicht das Training auch nicht optimal war.
Präzisere Forschung zu invasiv
Bisher beschäftigen sich erst relativ wenige Forschende mit der Ergänzung von Menschen durch Robotergliedmassen. In den USA und Europa arbeitet lediglich eine Handvoll Forschungsgruppen auf diesem Gebiet und diese vor allem an der Integration künstlicher Finger. Dennoch hat der Ansatz Potenzial."Man kann sich viele Berufe vorstellen, in denen ein zusätzlicher Arm nützlich sein könnte: In der Rettungsmedizin, der Feinmechanik oder der Chirurgie, damit es keine Hilfspersonen mehr braucht, die Instrumente reichen", erklärt Micera. Er betont jedoch, dass solche Anwendungen noch länger nicht im Alltag Einzug halten werden.
Das grösste Defizit ist die zu ungenaue Steuerung. Zwar kann die Bedienung eines künstlichen Arms über das Zwerchfell sicher noch verbessert werden, sie wird aber niemals an die Präzision einer natürlichen Gliedmasse heranreichen. Um dieses Hindernis zu überwinden, könnte eine invasive Schnittstelle - etwa Elektroden in der Großhirnrinde - eine langfristige Lösung darstellen: Sie müsste implantiert werden, um Hirnsignale in ausführbare Befehle für den Arm zu übersetzen. Doch das ist derzeit und in naher Zukunft nicht möglich.
Micera denkt bei seiner Forschungsarbeit nicht in erster Linie an futuristische Szenarien mit verbesserten Menschen, sondern er will das Gehirn, seine Schnittstellen und die Neubildung von Vernetzungen mit dem übrigen Körper besser verstehen.
"Für mich ist es primär eine neurowissenschaftliche Frage", sagt er. "Wenn wir verstehen, wie das Training mit einem künstlichen Arm optimiert und beschleunigt werden kann, entdecken wir vielleicht nützliche Grundsätze für die Rehabilitation, zum Beispiel für Patientinnen und Patienten mit Lähmungen nach einem Schlaganfall."
S. Micera et al.: Exploring Skill Generalization with an Extra Robotic Arm for Motor Augmentation. Wiley Advanced (2025) (https://doi.org/10.1002/aisy.202500086).
Der Text dieser News und weitere Informationen stehen auf der Webseite (https://www.snf.ch/de/aASJnfJDYq8mpmj6/news/was-waere-wenn-wir-einen-dritten-arm-haetten) des Schweizerischen Nationalfonds zur Verfügung.
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Silvestro Micera
EPFL Campus Biotech bâtiment B3
Ch. des Mines 9
1202 Genéve
Tel.: +41 21 693 10 47
E-Mail: silvestro.micera@epfl.ch
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