Berlin (ots) -
Die Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes bietet eine hervorragende wissenschaftliche Grundlage zur Weiterentwicklung. Das geplante Expert*innengremium muss vielfältige Perspektiven vereinen und Partizipation gewährleisten.
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) hat letzte Woche die Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) vorgelegt. Laut Koalitionsvertrag wird sie die Grundlage für die Weiterentwicklung des Gesetzes bilden, das den Schutz von Menschen in der Sexarbeit verbessern soll - vor allem mit Blick auf ihre Selbstbestimmung, Sicherheit und Gesundheit.
Die Evaluation beruht auf einer Datenbasis, wie es sie in Deutschland noch nie gegeben hat: Befragt wurden mehr als 2.300 Sexarbeiter*innen, 3.400 Kund*innen, 800 Mitarbeiter*innen aus Behörden sowie 280 Betreiber*innen von Prostitutionsstätten. Ausdrücklich ist es gelungen, ein sehr breites Spektrum von Menschen in der Sexarbeit zu befragen, darunter auch solche, die nicht dem Gesetz entsprechend angemeldet sind.
"Die hier zusammengetragenen Erkenntnisse über Sexarbeit sind einmalig und von unschätzbarem Wert für Prävention und Beratung. Das Ergebnis ist klar: Das Gesetz entfaltet bereits eine gewisse Wirkung, muss aber dringend verbessert werden - auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Evaluation liefert die empirische Grundlage", sagt Ulf Kristal vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe (DAH).
Prostitution ist vom Grundgesetz geschützt
Auf Basis eines Rechtsgutachtens bestätigen die Wissenschaftler*innen zunächst, dass Prostitution eine grundgesetzlich geschützte Tätigkeit sei und dass der Staat gegenüber denjenigen Personen, die sie freiwillig ausüben, eine Schutzpflicht habe. Prostitution sei, juristisch betrachtet, keineswegs per se eine Verletzung der Menschenwürde. Die Evaluation folgert daraus sehr klar: "Die Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG zur Achtung der Menschenwürde gebietet also keineswegs die Einführung eines Sexkaufverbots".
Hohes Maß an Selbstbestimmung
Die befragten Sexarbeiter*innen sehen sich in der großen Mehrheit als selbstbestimmt: Über 90% berichten, dass sie selbst über ihre Leistungen entscheiden, knapp 90% geben an, dass sie ein begonnenes Treffen mit Kund*innen abbrechen können.
Gleichzeitig hebt das interdisziplinäre Evaluationsteam die große Vielfalt innerhalb der Gruppe hervor. Nötig sei eine differenzierte Betrachtung von Sexarbeitenden und ihrer Bedürfnisse. Diese Erkenntnis entspricht dem Ergebnis einer qualitativen Studie der Deutschen Aidshilfe (http://www.aidshilfe.de/sexarbeit-studie) zu den gesundheitlichen Bedarfen von Menschen in der Sexarbeit, die 2024 veröffentlicht wurde.
Evaluation zeigt Hürden bei Beratung
Verbesserungsbedarf gibt es laut Evaluationsbericht unter anderem bei der verpflichtenden Registrierung, die mit dem Gesetz eingeführt wurde. Viele Sexarbeiter*innen seien nicht bereit, ihre Tätigkeit bei Behörden bekannt zu machen: Sie haben Angst, dass ihre Daten dort nicht ausreichend geschützt sind. Tatsächlich dürfen die zuständigen Behörden die Daten der angemeldeten Sexarbeiter*innen an andere, etwa das Finanzamt oder die Polizei, übermitteln und dies geschieht bislang oft auf nicht datenschutzkonformen Wegen. Ein wesentlicher Grund, warum Sexarbeiter*innen sich nicht offiziell anmelden, sind Benachteiligung und Stigmatisierung. Diesen Hemmnissen müsse dringend mit staatlichen Maßnahmen entgegengewirkt werden, betonen die Evaluator*innen. Zudem seien manche Menschen von der Anmeldung und den damit verbundenen Hilfsangeboten prinzipiell ausgeschlossen, etwa aus ausländerrechtlichen Gründen, was dem Ziel des Gesetzes zuwiderlaufe.
Die Deutsche Aidshilfe schließt sich diesen Schlussfolgerungen an.
"Zugleich dürfen Aufklärung, Schutz und Hilfe nicht von der offiziellen Anmeldung abhängen, sondern müssen bedingungslos allen zugänglich sein. Der Staat sollte sich bei den Maßnahmen zum Schutz von Sexarbeiter*innen allein auf diesen Zweck fokussieren und andere - etwa migrationspolitische oder steuerliche - Ziele ausklammern", sagt Ulf Kristal.
Das KFN unterstreicht in der Evaluation außerdem die Forderung der Deutschen Aidshilfe, wonach die Hürden zum Eintritt beziehungsweise zur Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung abgebaut werden müssen, um auch Menschen mit wenigen finanziellen Mitteln oder ohne Aufenthaltspapiere den Zugang zu gesundheitlicher Versorgung zu ermöglichen.
Schulungen fürs Behördenpersonal
Ein klarer Befund der Evaluation wie schon der DAH-Studie: Die Mitarbeiter*innen in den Behörden sind nicht ausreichend geschult. In der Evaluation gaben knapp drei Viertel an, sie hätten Fortbildungsbedarf. Von den befragten Beratenden nach Paragraf 10 des ProstSchG ("gesundheitliche Beratung") hat jede fünfte Person weder eine Vorbereitung noch eine Fortbildung erhalten.
Eléonore Willems, Referentin für Frauen und Sexarbeit der Deutschen Aidshilfe sowie Leiterin der DAH-Studie:
"Wir unterstützen die Empfehlung, dass die mit dem Gesetz betrauten Sachbearbeitenden systematisch aus- und fortgebildet werden. Der Bund sollte den Ländern neben Beratungsleitfäden auch ein Curriculum für die Ausbildung zur Durchführung der gesundheitlichen Beratung zur Verfügung stellen, etwa in Form eines E-Learning- bzw. Blendend-Learning-Programms. Diese überfälligen Maßnahmen müssen gemeinsam mit Sexarbeiter*innen und weiteren Expert*innen erarbeitet werden."
Kondompflicht plus Unterstützung
Laut Evaluation empfinden viele Sexarbeiter*innen die Kondompflicht als hilfreich, um Anfragen nach kondomlosem Sex zurückzuweisen. Die Vorschläge aus der Evaluation, solche Fragen per Gesetz zur Ordnungswidrigkeit zu machen oder die Betroffenen in der Beratung auf ihre Verantwortung hinzuweisen, sehen wir jedoch kritisch. Im Vordergrund sollte verstärkte Aufklärung über Schutz vor Infektionen und Schwangerschaft stehen, verbunden mit der Vermittlung von Fähigkeiten, wie sich der Kondomgebrauch im Arbeitsalltag durchsetzen lässt. Flankiert werden sollte dies mit einer Kampagne, die sich an Kund*innen richtet.
Jetzt die richtigen Schlüsse ziehen
Der Koalitionsvertrag sieht vor, das Prostituiertenschutzgesetz "im Lichte der Evaluation" mithilfe einer unabhängigen Expert*innenkommission weiterzuentwickeln. Diese Kommission muss nun schnell gegründet werden und den Perspektiven von Sexarbeiter*innen selbst ebenso Raum geben wie Fachberatungsstellen und Prävention.
Die Evaluator*innen weisen darauf hin, dass sich die Perspektiven von Menschen, die mit Sexarbeit zu tun haben, erheblich von der Außenperspektive unterscheiden. Sie mahnen außerdem, die öffentliche Diskussion über Sexarbeit fokussiere zu stark auf das Thema Kriminalität - nötig sei eine "differenzierte Auseinandersetzung mit Prostitution als Erwerbsarbeit". Diesem Ziel schließt sich die Deutsche Aidshilfe an.
"Um den Schutz von Menschen in der Sexarbeit voranzubringen, müssen wir ihnen zuhören und versuchen, ihren sehr verschiedenen Situationen differenziert Rechnung zu tragen. Dabei helfen weder Abwertung noch Verbote", sagt DAH-Vorstand Ulf Kristal.
Pressekontakt:
Deutsche Aidshilfe
Holger Wicht - Pressesprecher
Tel. (030) 69 00 87 - 16
presse@dah.aidshilfe.de
www.aidshilfe.de
Original-Content von: Deutsche Aidshilfe, übermittelt durch news aktuell
Originalmeldung: https://www.presseportal.de/pm/14407/6068474
Die Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes bietet eine hervorragende wissenschaftliche Grundlage zur Weiterentwicklung. Das geplante Expert*innengremium muss vielfältige Perspektiven vereinen und Partizipation gewährleisten.
Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) hat letzte Woche die Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes (ProstSchG) vorgelegt. Laut Koalitionsvertrag wird sie die Grundlage für die Weiterentwicklung des Gesetzes bilden, das den Schutz von Menschen in der Sexarbeit verbessern soll - vor allem mit Blick auf ihre Selbstbestimmung, Sicherheit und Gesundheit.
Die Evaluation beruht auf einer Datenbasis, wie es sie in Deutschland noch nie gegeben hat: Befragt wurden mehr als 2.300 Sexarbeiter*innen, 3.400 Kund*innen, 800 Mitarbeiter*innen aus Behörden sowie 280 Betreiber*innen von Prostitutionsstätten. Ausdrücklich ist es gelungen, ein sehr breites Spektrum von Menschen in der Sexarbeit zu befragen, darunter auch solche, die nicht dem Gesetz entsprechend angemeldet sind.
"Die hier zusammengetragenen Erkenntnisse über Sexarbeit sind einmalig und von unschätzbarem Wert für Prävention und Beratung. Das Ergebnis ist klar: Das Gesetz entfaltet bereits eine gewisse Wirkung, muss aber dringend verbessert werden - auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse. Die Evaluation liefert die empirische Grundlage", sagt Ulf Kristal vom Vorstand der Deutschen Aidshilfe (DAH).
Prostitution ist vom Grundgesetz geschützt
Auf Basis eines Rechtsgutachtens bestätigen die Wissenschaftler*innen zunächst, dass Prostitution eine grundgesetzlich geschützte Tätigkeit sei und dass der Staat gegenüber denjenigen Personen, die sie freiwillig ausüben, eine Schutzpflicht habe. Prostitution sei, juristisch betrachtet, keineswegs per se eine Verletzung der Menschenwürde. Die Evaluation folgert daraus sehr klar: "Die Verpflichtung aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG zur Achtung der Menschenwürde gebietet also keineswegs die Einführung eines Sexkaufverbots".
Hohes Maß an Selbstbestimmung
Die befragten Sexarbeiter*innen sehen sich in der großen Mehrheit als selbstbestimmt: Über 90% berichten, dass sie selbst über ihre Leistungen entscheiden, knapp 90% geben an, dass sie ein begonnenes Treffen mit Kund*innen abbrechen können.
Gleichzeitig hebt das interdisziplinäre Evaluationsteam die große Vielfalt innerhalb der Gruppe hervor. Nötig sei eine differenzierte Betrachtung von Sexarbeitenden und ihrer Bedürfnisse. Diese Erkenntnis entspricht dem Ergebnis einer qualitativen Studie der Deutschen Aidshilfe (http://www.aidshilfe.de/sexarbeit-studie) zu den gesundheitlichen Bedarfen von Menschen in der Sexarbeit, die 2024 veröffentlicht wurde.
Evaluation zeigt Hürden bei Beratung
Verbesserungsbedarf gibt es laut Evaluationsbericht unter anderem bei der verpflichtenden Registrierung, die mit dem Gesetz eingeführt wurde. Viele Sexarbeiter*innen seien nicht bereit, ihre Tätigkeit bei Behörden bekannt zu machen: Sie haben Angst, dass ihre Daten dort nicht ausreichend geschützt sind. Tatsächlich dürfen die zuständigen Behörden die Daten der angemeldeten Sexarbeiter*innen an andere, etwa das Finanzamt oder die Polizei, übermitteln und dies geschieht bislang oft auf nicht datenschutzkonformen Wegen. Ein wesentlicher Grund, warum Sexarbeiter*innen sich nicht offiziell anmelden, sind Benachteiligung und Stigmatisierung. Diesen Hemmnissen müsse dringend mit staatlichen Maßnahmen entgegengewirkt werden, betonen die Evaluator*innen. Zudem seien manche Menschen von der Anmeldung und den damit verbundenen Hilfsangeboten prinzipiell ausgeschlossen, etwa aus ausländerrechtlichen Gründen, was dem Ziel des Gesetzes zuwiderlaufe.
Die Deutsche Aidshilfe schließt sich diesen Schlussfolgerungen an.
"Zugleich dürfen Aufklärung, Schutz und Hilfe nicht von der offiziellen Anmeldung abhängen, sondern müssen bedingungslos allen zugänglich sein. Der Staat sollte sich bei den Maßnahmen zum Schutz von Sexarbeiter*innen allein auf diesen Zweck fokussieren und andere - etwa migrationspolitische oder steuerliche - Ziele ausklammern", sagt Ulf Kristal.
Das KFN unterstreicht in der Evaluation außerdem die Forderung der Deutschen Aidshilfe, wonach die Hürden zum Eintritt beziehungsweise zur Rückkehr in die gesetzliche Krankenversicherung abgebaut werden müssen, um auch Menschen mit wenigen finanziellen Mitteln oder ohne Aufenthaltspapiere den Zugang zu gesundheitlicher Versorgung zu ermöglichen.
Schulungen fürs Behördenpersonal
Ein klarer Befund der Evaluation wie schon der DAH-Studie: Die Mitarbeiter*innen in den Behörden sind nicht ausreichend geschult. In der Evaluation gaben knapp drei Viertel an, sie hätten Fortbildungsbedarf. Von den befragten Beratenden nach Paragraf 10 des ProstSchG ("gesundheitliche Beratung") hat jede fünfte Person weder eine Vorbereitung noch eine Fortbildung erhalten.
Eléonore Willems, Referentin für Frauen und Sexarbeit der Deutschen Aidshilfe sowie Leiterin der DAH-Studie:
"Wir unterstützen die Empfehlung, dass die mit dem Gesetz betrauten Sachbearbeitenden systematisch aus- und fortgebildet werden. Der Bund sollte den Ländern neben Beratungsleitfäden auch ein Curriculum für die Ausbildung zur Durchführung der gesundheitlichen Beratung zur Verfügung stellen, etwa in Form eines E-Learning- bzw. Blendend-Learning-Programms. Diese überfälligen Maßnahmen müssen gemeinsam mit Sexarbeiter*innen und weiteren Expert*innen erarbeitet werden."
Kondompflicht plus Unterstützung
Laut Evaluation empfinden viele Sexarbeiter*innen die Kondompflicht als hilfreich, um Anfragen nach kondomlosem Sex zurückzuweisen. Die Vorschläge aus der Evaluation, solche Fragen per Gesetz zur Ordnungswidrigkeit zu machen oder die Betroffenen in der Beratung auf ihre Verantwortung hinzuweisen, sehen wir jedoch kritisch. Im Vordergrund sollte verstärkte Aufklärung über Schutz vor Infektionen und Schwangerschaft stehen, verbunden mit der Vermittlung von Fähigkeiten, wie sich der Kondomgebrauch im Arbeitsalltag durchsetzen lässt. Flankiert werden sollte dies mit einer Kampagne, die sich an Kund*innen richtet.
Jetzt die richtigen Schlüsse ziehen
Der Koalitionsvertrag sieht vor, das Prostituiertenschutzgesetz "im Lichte der Evaluation" mithilfe einer unabhängigen Expert*innenkommission weiterzuentwickeln. Diese Kommission muss nun schnell gegründet werden und den Perspektiven von Sexarbeiter*innen selbst ebenso Raum geben wie Fachberatungsstellen und Prävention.
Die Evaluator*innen weisen darauf hin, dass sich die Perspektiven von Menschen, die mit Sexarbeit zu tun haben, erheblich von der Außenperspektive unterscheiden. Sie mahnen außerdem, die öffentliche Diskussion über Sexarbeit fokussiere zu stark auf das Thema Kriminalität - nötig sei eine "differenzierte Auseinandersetzung mit Prostitution als Erwerbsarbeit". Diesem Ziel schließt sich die Deutsche Aidshilfe an.
"Um den Schutz von Menschen in der Sexarbeit voranzubringen, müssen wir ihnen zuhören und versuchen, ihren sehr verschiedenen Situationen differenziert Rechnung zu tragen. Dabei helfen weder Abwertung noch Verbote", sagt DAH-Vorstand Ulf Kristal.
Pressekontakt:
Deutsche Aidshilfe
Holger Wicht - Pressesprecher
Tel. (030) 69 00 87 - 16
presse@dah.aidshilfe.de
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