Düsseldorf/Bad Neuenahr-Ahrweiler (ots) -
Als sich im Laufe des 14. Juli 2021 die Hochwasserwarnungen häuften, wollten Kantorin Andrea Stenzel und ihr Mann Christoph Anselm Noll vorbeugen. Gemeinsam hievten sie die mobile Truhenorgel der Martin-Luther-Kirche in Bad Neuenahr-Ahrweiler auf die Altarinsel. Dort, glaubten sie, müsse das Instrument selbst bei eindringendem Wasser sicher sein. Am Ende wurde die Kirche bis zu einer Höhe von 1,80 Meter geflutet - und die weggespülte Orgel fand sich nahe dem Ausgang wieder.
Zu retten war von der Orgel, die vom Förderverein Kirchenmusik für Andachten im Seitenschiff finanziert worden war, allein die Klaviatur. Der Flügel dagegen, ebenfalls Ergebnis vieler Benefizkonzerte und einer großzügigen finanziellen Unterstützung des Vereins, konnte nur noch komplett entsorgt werden. "Und die große Orgel der Göttinger Firma Ott war zwar unbeschädigt, musste aber aufgrund der Feuchtigkeit auch ausgebaut werden", erzählt die Kantorin. Drei Orgelbauer, ihr Mann und sie selbst waren damit eine Woche beschäftigt. Seither lagert das Instrument bei einer Fachfirma in Utrecht - und erzeugt dort jeden Tag Kosten.
Martin-Luther-Kirche in Bad Neuenahr noch immer im Rohbau
Vier Jahre sind seit diesen dramatischen Wochen vergangen und die Kirche, in der vor der Flut auch regelmäßig die Eröffnungsgottesdienste zu den Tagungen der rheinischen Landessynode gefeiert wurden, befindet sich weiter im Rohbau. Der Innenraum ist längst vom Schlamm befreit und freigeräumt, der Fußboden entfernt und der Putz bis auf zwei Meter Höhe abgeschlagen. Aber von Sanierungsarbeiten ist noch immer nichts zu sehen. "Kein Wunder, denn ein Bauprojekt dieser Größenordnung ist alles andere als einfach. Zahlreiche Institutionen haben mitzureden, viele Vorschriften müssen beachtet werden", heißt es im aktuellen Gemeindebrief (https://newsletter.ekir.de/r/b9ubcjn46631ms11024.html) der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Neuenahr (https://newsletter.ekir.de/r/b9ubcjn46632ms11024.html). Noch gibt es gar keine Baugenehmigung, man hofft derzeit auf einen Baubeginn im kommenden Jahr. Ob die Kirche dann 2027 oder erst 2028 fertig wird - wer wagt das zu prognostizieren?
In den ersten Proben nach der Flut flossen mehrfach Tränen
Andrea Stenzel ist seit vier Jahren eine Kirchenmusikerin ohne adäquaten Kirchraum. "Zum Glück ist die frühere Überlegung, unsere kleine Filialkirche in Ahrweiler aufzugeben, am Widerstand der Gemeinde gescheitert. Heute sind wir froh, dass wir sie haben." Aber der Platz dort ist beschränkt und die instrumentale Ausstattung bescheiden. Und der Doppelschlag von Corona und Flut hat seine Spuren hinterlassen. "Vor Corona hatte unser Gospelchor mehr als 80 Sängerinnen und Sänger. Nach der Flut haben wir mit 35 wieder angefangen." Die Menschen waren mit anderem beschäftigt, viele waren selbst betroffen oder aber ihre Eltern oder Kinder. "Musik triggert und in den ersten Proben sind Menschen mehrfach in Tränen ausgebrochen." Und heute erlebt die Kirchenmusikerin, dass manche Menschen, die über Jahre unermüdlich gegen den Schlamm und die Zerstörung angekämpft und zupackend Neues aufgebaut haben, "erst jetzt zusammenbrechen".
Monatliche geistliche Abendmusik kämpft ums Überleben
Manches etablierte Musikformat konnte Stenzel nicht 1:1 in die neuen Gegebenheiten übertragen. Die monatliche geistliche Abendmusik, die in der Martin-Luther-Kirche regelmäßig bis zu 150 Zuhörende anlockte, findet in der abseits gelegenen kleinen Friedenskirche in Ahrweiler weniger Interesse. "Wenn die Luther-Kirche fertig ist, braucht es neue Konzepte." Rückblickend sagt die 61-Jährige: "Der Jahrestag selbst schmerzt mich nicht, das ist nur eine Zahl. Aber für mich bleibt die Erkenntnis, dass dieses Datum viel kaputt gemacht hat - mehr, als ich zunächst angenommen hatte." Damit meint sie weniger die Gebäude als vielmehr die tiefen Traumata, die die Menschen im Tal erlebt haben. "Und ich habe damals nicht erfasst, was es bedeutet, keine Kirche zu haben und heimatlos zu sein. Das betrifft ja nicht nur die Luther-Kirche, sondern alle großen Kirchen im Flutgebiet."
Sorge, die Kirchenmusik könnte in Vergessenheit geraten
Die Chöre tingeln seither durch die höher gelegenen Kirchen in der Umgebung. "Manchmal denke ich, die Leute hier vergessen uns, weil wir so wenig auftreten." Improvisation sei ja nicht verkehrt, "aber die kleineren Kinder kennen unsere eigene Kirche noch gar nicht". Und auch wenn sie sich als "absoluten Vokalmenschen" bezeichnet: "Das eigene Orgelspiel leidet natürlich, wenn kein Instrument und kein Raum da sind, die inspirierend wirken." Ostermontag vor einem Jahr hat Stenzel dann erreicht, dass der leere Kirchraum wenigstens ein erstes Mal für einen Singtreff genutzt werden konnte. "Wir haben die Türen geöffnet - und sofort standen Menschen in der Kirche." Ekkehard Rüger
Stichwort: Hilfe für vom Hochwasser Betroffene
Die Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe unterstützt die Menschen vor Ort auch vier Jahre nach der Flut. Dabei steht jetzt die Vorbeugung im Vordergrund. Aber es gibt auch weiter finanzielle Hilfe: Noch bis Ende 2025 können Betroffene Anträge auf Unterstützung beim Wiederaufbau stellen. Bisher wurden hier rund 8,5 Millionen Euro ausgezahlt. Inzwischen sind auch fast alle eingegangenen Spenden in Höhe von 47,87 Millionen Euro (https://newsletter.ekir.de/r/b9ubcjn46633ms11024.html) ausgegeben oder verplant.
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Als sich im Laufe des 14. Juli 2021 die Hochwasserwarnungen häuften, wollten Kantorin Andrea Stenzel und ihr Mann Christoph Anselm Noll vorbeugen. Gemeinsam hievten sie die mobile Truhenorgel der Martin-Luther-Kirche in Bad Neuenahr-Ahrweiler auf die Altarinsel. Dort, glaubten sie, müsse das Instrument selbst bei eindringendem Wasser sicher sein. Am Ende wurde die Kirche bis zu einer Höhe von 1,80 Meter geflutet - und die weggespülte Orgel fand sich nahe dem Ausgang wieder.
Zu retten war von der Orgel, die vom Förderverein Kirchenmusik für Andachten im Seitenschiff finanziert worden war, allein die Klaviatur. Der Flügel dagegen, ebenfalls Ergebnis vieler Benefizkonzerte und einer großzügigen finanziellen Unterstützung des Vereins, konnte nur noch komplett entsorgt werden. "Und die große Orgel der Göttinger Firma Ott war zwar unbeschädigt, musste aber aufgrund der Feuchtigkeit auch ausgebaut werden", erzählt die Kantorin. Drei Orgelbauer, ihr Mann und sie selbst waren damit eine Woche beschäftigt. Seither lagert das Instrument bei einer Fachfirma in Utrecht - und erzeugt dort jeden Tag Kosten.
Martin-Luther-Kirche in Bad Neuenahr noch immer im Rohbau
Vier Jahre sind seit diesen dramatischen Wochen vergangen und die Kirche, in der vor der Flut auch regelmäßig die Eröffnungsgottesdienste zu den Tagungen der rheinischen Landessynode gefeiert wurden, befindet sich weiter im Rohbau. Der Innenraum ist längst vom Schlamm befreit und freigeräumt, der Fußboden entfernt und der Putz bis auf zwei Meter Höhe abgeschlagen. Aber von Sanierungsarbeiten ist noch immer nichts zu sehen. "Kein Wunder, denn ein Bauprojekt dieser Größenordnung ist alles andere als einfach. Zahlreiche Institutionen haben mitzureden, viele Vorschriften müssen beachtet werden", heißt es im aktuellen Gemeindebrief (https://newsletter.ekir.de/r/b9ubcjn46631ms11024.html) der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Neuenahr (https://newsletter.ekir.de/r/b9ubcjn46632ms11024.html). Noch gibt es gar keine Baugenehmigung, man hofft derzeit auf einen Baubeginn im kommenden Jahr. Ob die Kirche dann 2027 oder erst 2028 fertig wird - wer wagt das zu prognostizieren?
In den ersten Proben nach der Flut flossen mehrfach Tränen
Andrea Stenzel ist seit vier Jahren eine Kirchenmusikerin ohne adäquaten Kirchraum. "Zum Glück ist die frühere Überlegung, unsere kleine Filialkirche in Ahrweiler aufzugeben, am Widerstand der Gemeinde gescheitert. Heute sind wir froh, dass wir sie haben." Aber der Platz dort ist beschränkt und die instrumentale Ausstattung bescheiden. Und der Doppelschlag von Corona und Flut hat seine Spuren hinterlassen. "Vor Corona hatte unser Gospelchor mehr als 80 Sängerinnen und Sänger. Nach der Flut haben wir mit 35 wieder angefangen." Die Menschen waren mit anderem beschäftigt, viele waren selbst betroffen oder aber ihre Eltern oder Kinder. "Musik triggert und in den ersten Proben sind Menschen mehrfach in Tränen ausgebrochen." Und heute erlebt die Kirchenmusikerin, dass manche Menschen, die über Jahre unermüdlich gegen den Schlamm und die Zerstörung angekämpft und zupackend Neues aufgebaut haben, "erst jetzt zusammenbrechen".
Monatliche geistliche Abendmusik kämpft ums Überleben
Manches etablierte Musikformat konnte Stenzel nicht 1:1 in die neuen Gegebenheiten übertragen. Die monatliche geistliche Abendmusik, die in der Martin-Luther-Kirche regelmäßig bis zu 150 Zuhörende anlockte, findet in der abseits gelegenen kleinen Friedenskirche in Ahrweiler weniger Interesse. "Wenn die Luther-Kirche fertig ist, braucht es neue Konzepte." Rückblickend sagt die 61-Jährige: "Der Jahrestag selbst schmerzt mich nicht, das ist nur eine Zahl. Aber für mich bleibt die Erkenntnis, dass dieses Datum viel kaputt gemacht hat - mehr, als ich zunächst angenommen hatte." Damit meint sie weniger die Gebäude als vielmehr die tiefen Traumata, die die Menschen im Tal erlebt haben. "Und ich habe damals nicht erfasst, was es bedeutet, keine Kirche zu haben und heimatlos zu sein. Das betrifft ja nicht nur die Luther-Kirche, sondern alle großen Kirchen im Flutgebiet."
Sorge, die Kirchenmusik könnte in Vergessenheit geraten
Die Chöre tingeln seither durch die höher gelegenen Kirchen in der Umgebung. "Manchmal denke ich, die Leute hier vergessen uns, weil wir so wenig auftreten." Improvisation sei ja nicht verkehrt, "aber die kleineren Kinder kennen unsere eigene Kirche noch gar nicht". Und auch wenn sie sich als "absoluten Vokalmenschen" bezeichnet: "Das eigene Orgelspiel leidet natürlich, wenn kein Instrument und kein Raum da sind, die inspirierend wirken." Ostermontag vor einem Jahr hat Stenzel dann erreicht, dass der leere Kirchraum wenigstens ein erstes Mal für einen Singtreff genutzt werden konnte. "Wir haben die Türen geöffnet - und sofort standen Menschen in der Kirche." Ekkehard Rüger
Stichwort: Hilfe für vom Hochwasser Betroffene
Die Diakonie Katastrophenhilfe Rheinland-Westfalen-Lippe unterstützt die Menschen vor Ort auch vier Jahre nach der Flut. Dabei steht jetzt die Vorbeugung im Vordergrund. Aber es gibt auch weiter finanzielle Hilfe: Noch bis Ende 2025 können Betroffene Anträge auf Unterstützung beim Wiederaufbau stellen. Bisher wurden hier rund 8,5 Millionen Euro ausgezahlt. Inzwischen sind auch fast alle eingegangenen Spenden in Höhe von 47,87 Millionen Euro (https://newsletter.ekir.de/r/b9ubcjn46633ms11024.html) ausgegeben oder verplant.
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