Berlin (ots) -
Was da am Freitag im Bundestag passiert ist, war kein Betriebsunfall, keine parteitaktische Verirrung, keine Hakelei in der Koalition. Nein, die Verhinderung der Wahl neuer Richter für das Bundesverfassungsgericht ist das Ergebnis einer rabiaten Kampagne von rechts außen, die bis in die Reihen von CDU und CSU hineinreicht. Dabei wurden Absprachen zwischen Parteien diesseits der AfD gebrochen, und die Führung der Unionsfraktion muss sich fragen, ob sie ihren Laden wenige Wochen nach Konstituierung des Parlaments und Amtsantritt der Regierung noch im Griff hat. Vielleicht aber muss sich auch die SPD als kleinere Koalitionspartnerin fragen, auf wen sie sich eingelassen hat - auf einen verlässlichen konservativen Partner oder auf eine Hasardeurstruppe, die weder Verantwortung noch Anstand kennt.
Die Wahl von Bundesverfassungsrichtern ist keine nebensächliche Kleinigkeit. Sie berührt die Grundlagen der Gewaltenteilung und damit ein Wesenselement der Demokratie. Was das wert ist, zeigt sich mit Blick etwa auf die USA, wo Richternominierungen längst zum Spielball unmittelbarer Partei- und Lobbyinteressen geworden sind. Nicht umsonst brauchen Verfassungsrichter im Bundestag bzw. im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit. Keine Partei kann machen, was sie will; demokratische Übereinkünfte sind nötig.
Aber das ist die Theorie. In der Praxis sieht es so aus, dass Union und SPD zwar den Grünen ihre Kandidaten vorgestellt haben, nicht aber der Linken, weil die Union es sich nach wie vor selbst verbietet, mit der Linken zu sprechen. Außer natürlich, wenn der Kanzlerkandidat dringend einen zweiten Wahlgang braucht. Hier zeigt sich der ganze Unsinn des Unvereinbarkeitsbeschlusses, von dem absehbar war, dass er immer wieder an seine Grenzen stößt: Weil die Union keine Mehrheit ohne AfD organisieren will, spekuliert sie kaum verhüllt auf rechtsextreme Stimmen.
Wie fatal das werden kann, hat der Freitag bestätigt. Noch am Mittwoch erklärte Friedrich Merz, er könne die Wahl der von der SPD nominierten Juristin Frauke Brosius-Gersdorf mit seinem Gewissen vereinbaren. Falls es noch so etwas wie Richtlinienkompetenz geben sollte, hätte die Unionsfraktion das als Hinweis verstehen können. Da war schon die von rechten Online-Portalen und der einschlägigen Partei gesteuerte Kampagne gegen die Potsdamer Professorin im Gange, der zum Vorwurf gemacht wird, dass sie eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts befürwortet. Weil das aber nichts half, zog die Unionsfraktion am Freitagmorgen einen dubiosen Plagiatsvorwurf gegen die Juristin aus der Tasche, der natürlich rein zufällig am Vorabend des Wahltags lanciert wurde und sich auf deren Dissertation aus dem Jahr 1997 bezieht.
Hier wird nicht nur mit einem Verfassungsorgan Schindluder getrieben, sondern gleich auch noch die berufliche Existenz einer renommierten Juristin infrage gestellt. Denn sogleich wurde aus der Unionsfraktion gefordert, dass Brosius-Gersdorf zumindest vorübergehend ihre Professur ruhen lassen solle - eine niederträchtige Attacke.
Dass unter solchen Umständen eine geordnete Wahl der Verfassungsrichter undenkbar ist, liegt auf der Hand. Wie es damit weitergeht - erst in mehreren Wochen -, ist die eine Frage. Die andere Frage ist: Was ist in dieser gerade erst gestarteten Koalition los? Haben Merz und Spahn ihren Laden überhaupt im Griff? Wenn Dutzende Unionsabgeordnete ankündigen, die Absprache der Fraktionsführungen von Union und SPD über die Kandidaten zu unterlaufen, denen fachlich nichts Ernsthaftes vorzuwerfen ist, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ist Fraktionschef Jens Spahn nicht in der Lage, die Fäden zusammenzuhalten, oder er will es gar nicht.
Beides wäre fatal; die letztere Vermutung wäre allerdings verhängnisvoller. Denn einen Stümper kann man auswechseln. Einen machtbewussten Karrieristen, der immer wieder durch rechtspopulistische Ausbrüche aufgefallen ist, muss man sehr ernst nehmen. Nicht ausgeschlossen, dass wir hier Anfänge einer Annäherung zwischen rechtskonservativ und rechtsextremistisch erleben. Jens Spahn sieht sich jedenfalls als Mann der Zukunft in der Union; in seiner jetzigen Position ist er die zweitmächtigste Figur hinter dem Kanzler und Parteichef, der bei der nächsten regulären Bundestagswahl schon 73 Jahre alt sein wird.
Falls es diese Koalition bis dahin schafft. Die gescheiterte Wahl der Verfassungsrichter ist ein gravierender Einschnitt, nach dem Schwarz-Rot nicht einfach auf Alltag umschalten kann - wenn die SPD sich noch nicht ganz aufgegeben hat. Kommentare wie "Chaos" oder "wie zu besten Ampel-Zeiten" verharmlosen den Vorgang. Was sich da am Horizont zusammenbraut, trägt düstere Farben. Es ist eine Mischung aus Schwarz und Blau.
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Was da am Freitag im Bundestag passiert ist, war kein Betriebsunfall, keine parteitaktische Verirrung, keine Hakelei in der Koalition. Nein, die Verhinderung der Wahl neuer Richter für das Bundesverfassungsgericht ist das Ergebnis einer rabiaten Kampagne von rechts außen, die bis in die Reihen von CDU und CSU hineinreicht. Dabei wurden Absprachen zwischen Parteien diesseits der AfD gebrochen, und die Führung der Unionsfraktion muss sich fragen, ob sie ihren Laden wenige Wochen nach Konstituierung des Parlaments und Amtsantritt der Regierung noch im Griff hat. Vielleicht aber muss sich auch die SPD als kleinere Koalitionspartnerin fragen, auf wen sie sich eingelassen hat - auf einen verlässlichen konservativen Partner oder auf eine Hasardeurstruppe, die weder Verantwortung noch Anstand kennt.
Die Wahl von Bundesverfassungsrichtern ist keine nebensächliche Kleinigkeit. Sie berührt die Grundlagen der Gewaltenteilung und damit ein Wesenselement der Demokratie. Was das wert ist, zeigt sich mit Blick etwa auf die USA, wo Richternominierungen längst zum Spielball unmittelbarer Partei- und Lobbyinteressen geworden sind. Nicht umsonst brauchen Verfassungsrichter im Bundestag bzw. im Bundesrat eine Zweidrittelmehrheit. Keine Partei kann machen, was sie will; demokratische Übereinkünfte sind nötig.
Aber das ist die Theorie. In der Praxis sieht es so aus, dass Union und SPD zwar den Grünen ihre Kandidaten vorgestellt haben, nicht aber der Linken, weil die Union es sich nach wie vor selbst verbietet, mit der Linken zu sprechen. Außer natürlich, wenn der Kanzlerkandidat dringend einen zweiten Wahlgang braucht. Hier zeigt sich der ganze Unsinn des Unvereinbarkeitsbeschlusses, von dem absehbar war, dass er immer wieder an seine Grenzen stößt: Weil die Union keine Mehrheit ohne AfD organisieren will, spekuliert sie kaum verhüllt auf rechtsextreme Stimmen.
Wie fatal das werden kann, hat der Freitag bestätigt. Noch am Mittwoch erklärte Friedrich Merz, er könne die Wahl der von der SPD nominierten Juristin Frauke Brosius-Gersdorf mit seinem Gewissen vereinbaren. Falls es noch so etwas wie Richtlinienkompetenz geben sollte, hätte die Unionsfraktion das als Hinweis verstehen können. Da war schon die von rechten Online-Portalen und der einschlägigen Partei gesteuerte Kampagne gegen die Potsdamer Professorin im Gange, der zum Vorwurf gemacht wird, dass sie eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts befürwortet. Weil das aber nichts half, zog die Unionsfraktion am Freitagmorgen einen dubiosen Plagiatsvorwurf gegen die Juristin aus der Tasche, der natürlich rein zufällig am Vorabend des Wahltags lanciert wurde und sich auf deren Dissertation aus dem Jahr 1997 bezieht.
Hier wird nicht nur mit einem Verfassungsorgan Schindluder getrieben, sondern gleich auch noch die berufliche Existenz einer renommierten Juristin infrage gestellt. Denn sogleich wurde aus der Unionsfraktion gefordert, dass Brosius-Gersdorf zumindest vorübergehend ihre Professur ruhen lassen solle - eine niederträchtige Attacke.
Dass unter solchen Umständen eine geordnete Wahl der Verfassungsrichter undenkbar ist, liegt auf der Hand. Wie es damit weitergeht - erst in mehreren Wochen -, ist die eine Frage. Die andere Frage ist: Was ist in dieser gerade erst gestarteten Koalition los? Haben Merz und Spahn ihren Laden überhaupt im Griff? Wenn Dutzende Unionsabgeordnete ankündigen, die Absprache der Fraktionsführungen von Union und SPD über die Kandidaten zu unterlaufen, denen fachlich nichts Ernsthaftes vorzuwerfen ist, dann gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder ist Fraktionschef Jens Spahn nicht in der Lage, die Fäden zusammenzuhalten, oder er will es gar nicht.
Beides wäre fatal; die letztere Vermutung wäre allerdings verhängnisvoller. Denn einen Stümper kann man auswechseln. Einen machtbewussten Karrieristen, der immer wieder durch rechtspopulistische Ausbrüche aufgefallen ist, muss man sehr ernst nehmen. Nicht ausgeschlossen, dass wir hier Anfänge einer Annäherung zwischen rechtskonservativ und rechtsextremistisch erleben. Jens Spahn sieht sich jedenfalls als Mann der Zukunft in der Union; in seiner jetzigen Position ist er die zweitmächtigste Figur hinter dem Kanzler und Parteichef, der bei der nächsten regulären Bundestagswahl schon 73 Jahre alt sein wird.
Falls es diese Koalition bis dahin schafft. Die gescheiterte Wahl der Verfassungsrichter ist ein gravierender Einschnitt, nach dem Schwarz-Rot nicht einfach auf Alltag umschalten kann - wenn die SPD sich noch nicht ganz aufgegeben hat. Kommentare wie "Chaos" oder "wie zu besten Ampel-Zeiten" verharmlosen den Vorgang. Was sich da am Horizont zusammenbraut, trägt düstere Farben. Es ist eine Mischung aus Schwarz und Blau.
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