KIEW (dpa-AFX) - Ungeachtet möglicher Verhandlungen über eine Waffenruhe hat Russland seine massiven Luftangriffe auf Kiew auch in der Nacht fortgesetzt. Die Militärverwaltung der ukrainischen Hauptstadt meldete mindestens einen Toten infolge der Angriffe. Mindestens acht weitere Menschen wurden den Angaben zufolge verletzt. Derweil wollen die Unterstützer-Staaten der Ukraine heute bei einem virtuellen Treffen der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe über weitere Hilfen beraten.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schrieb am Vormittag auf der Plattform X von insgesamt zwei Toten und 15 Verletzten nach den Angriffen auf die Ukraine. Die Attacken trafen demnach die Hauptstadt und ihre Umgebung sowie Charkiw im Nordosten und Iwano-Frankiwsk im Westen des Landes. Mit Bezug auf Iwano-Frankiwsk sprach Bürgermeister Ruslan Marzinkiw vom größten Angriff seit Kriegsbeginn.
Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe hat Russland sein Nachbarland in der Nacht mit 426 mit Drohnen und Drohnenattrappen attackiert. Außerdem habe Moskau fünf Hyperschallraketen des Typs Kinschal und 19 Marschflugkörper verschiedener Typen eingesetzt. 403 Drohnen und Attrappen seien abgeschossen oder durch gezielte Funkstörungen zu Boden gebracht worden. Auch die Mehrheit der Raketen und Marschflugkörper sei ausgeschaltet worden, schrieb die Luftwaffe, nannte aber keine genaue Zahl.
Verkehr in Russland wegen Drohnen eingeschränkt
Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau wurden in der Nacht 74 ukrainische Drohnen über russischem Gebiet abgeschossen. Davon seien 15 im Anflug auf die Hauptstadt gewesen. Die Drohnenangriffe hatten erneut Auswirkungen auf den Flugverkehr. Der Luftfahrtbehörde Rosawiazija zufolge waren die vier Moskauer Flughäfen und der in Nischni Nowgorod stundenlang für Starts und Landungen gesperrt.
Die Ukraine verteidigt sich seit mehr als drei Jahren gegen die russische Invasion. Als Teil ihres Abwehrkampfes greift sie auch Ziele in Russland an. Im Zusammenhang mit ukrainischen Drohnenangriffen kommt es immer wieder zu Einschränkungen an russischen Flughäfen.
Im Gebiet Rostow kam es infolge der Drohnenangriffe auch zu Einschränkungen im Zugverkehr. Drohnentrümmerteile seien auf ein Infrastrukturobjekt gefallen und hätten ein Feuer am Bahnhof der Ortschaft Kamenolomni ausgelöst, teilte die Eisenbahngesellschaft im Nordkaukasus mit. Mehr als 50 Züge seien dadurch verspätet.
Kiew schlug Verhandlungen über Waffenruhe vor
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte am Wochenende Verhandlungen über eine Waffenruhe vorgeschlagen. Ein Datum für die Gespräche gibt es noch nicht. Istanbul solle aber wie bisher wieder Ort des Treffens sein, berichtete die staatliche russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf eine nicht näher benannte Quelle aus den Verhandlungskreisen. Zuletzt hatte es Anfang Juni in Istanbul direkte Verhandlungen gegeben - allerdings ohne Aussicht auf eine von Kiew geforderte bedingungslose Waffenruhe.
Schwere Kämpfe auch an der Front
Russische Angreifer und ukrainische Verteidiger haben sich am Sonntag erneut schwere Kämpfe entlang der Front im Osten der Ukraine geliefert. Wie der Generalstab in Kiew am Sonntagabend auf Facebook mitteilte, wurden von verschiedenen Abschnitten insgesamt 122 russische Angriffe gemeldet, die auch von Artillerie und der russischen Luftwaffe unterstützt wurden. Bei den Luftangriffen seien 71 gelenkte Gleitbomben auf ukrainische Stellungen abgeworfen worden. Die Angaben konnten nicht unabhängig geprüft werden.
Der Schwerpunkt der russischen Angriffe lag demnach einmal mehr bei Pokrowsk. Dort hätten russische Einheiten 36 Angriffe aus verschiedenen Stoßrichtungen unternommen, teilte das Militär mit.
Die Stadt Pokrowsk liegt im Westen der ostukrainischen Region Donezk an einem strategisch wichtigen Verkehrsknotenpunkt. Sie ist seit Monaten schwer umkämpft und inzwischen fast völlig zerstört. Die ukrainischen Verteidiger konnten den Vormarsch der russischen Besatzer auf die Stadt bremsen. Allerdings ist es den russischen Truppen inzwischen gelungen, im Norden und vor allem im Süden der Stadt vorzurücken, so dass der Stadt eine Einkesselung droht.
Rutte nimmt am virtuellen Treffen der Kontaktgruppe teil
Die Nato erklärte, an dem virtuellen Treffen der Kontaktgruppe, das von Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius und seinem britischen Kollegen John Healey geleitet wird, werde auch Nato-Generalsekretär Mark Rutte teilnehmen. Laut britischer Nachrichtenagentur PA will Healey dabei auch das Ultimatum von US-Präsident Donald Trump an Kremlchef Wladimir Putin unterstützen.
Trump hatte vergangene Woche erklärt, wenn es bei den Bemühungen um ein Ende des russischen Kriegs gegen die Ukraine innerhalb von 50 Tagen keinen Deal gebe, dann würden die USA hohe Zölle gegen Russlands Handelspartner erheben.
Bei dem Treffen wollen die Verteidigungsminister aus Deutschland, Großbritannien und zahlreichen anderen Staaten weitere Militärhilfen für die von Russland angegriffene Ukraine koordinieren. Healey will laut PA voraussichtlich erklären, dass der Westen seine militärische Unterstützung für die Ukraine erneut verstärken sollte, um den russischen Präsidenten Wladimir Putin an den Verhandlungstisch zu bringen./hme/DP/nas