KARLSRUHE (dpa-AFX) - Selbst mit einer Pinzette ist die künstliche Baby-Herzklappe kaum zu greifen, so winzig ist sie. Und doch sei alles dran, was ein Arzt zum Einnähen bräuchte, erklärt Ute Schepers vom Institut für Funktionelle Grenzflächen am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).
Erstellt wurde die Herzklappe in einem modernen 3D-Drucker. Das Ausgangsmaterial stamme von Kollagen produzierenden Bakterien. "Eigentlich war das mal als Lippenfüller gedacht", sagt die Abteilungsleiterin Chemische Biologie. In einer künftigen Anwendung werde dieses mit Patienten-eigenen Zellen ergänzt.
In das sogenannte 3D-Bioprinting werden große Hoffnungen gesetzt. Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnte es helfen, um Herausforderungen wie die Reparatur oder den Ersatz menschlicher Organe und Gewebe zu bewältigen.
Wie funktioniert Bioprinting - und was wird da genau "gedruckt"?
Bioprinting ist als Forschungsfeld vor rund 20 Jahren entstanden. Mit 3D-Druckverfahren werden lebende Zellen mit Hilfsstoffen, die ein Gerüst bilden, zu größeren Gewebestrukturen "gedruckt". Dafür gibt es verschiedene Technologien. Beim Inkjetverfahren etwa werden sogenannte Biotinten als winzige Tröpfchen über mehrerer Druckköpfe schichtweise auf ein Substrat aufgetragen.
Wie kann das zum Beispiel aussehen?
Am KIT forscht man unter anderem zur Hornhaut des Auges, Cornea genannt. Am Ende sollen für Menschen mit Cornea-Erkrankungen maßgeschneiderte und funktionsfähige Hornhäute entstehen, die nur ein minimales Risiko von Abstoßungsreaktionen haben.
Das liegt laut Schepers daran, dass die verwendeten Zellen vom betroffenen Patienten stammen. Aus einem Hautstück könnten in etwa vier Wochen sogenannte induzierte pluripotente Stammzellen erstellt werden. Daraus könnten sich verschiedene Zelltypen entwickeln - etwa für die Cornea.
Werden bald menschliche Organe auf Knopfdruck hergestellt?
Nein. Auch wenn 3D-gedruckte Organteile wie Haut oder Knorpel teilweise schon erfolgreich eingesetzt werden, reichen die derzeit zur Verfügung stehenden Materialien und Methoden noch bei weitem nicht aus, wie es in einer Publikation von Oktober 2023 des damaligen Bundesforschungsministeriums (BMBF) heißt. "Zu komplex und im Detail noch zu wenig verstanden sind der Aufbau und die Funktion menschlicher Organe."
Was ist das Problem?
Im Labor herrschen sterile Bedingungen, Zellen können mit Nährlösungen gewissermaßen gedüngt werden, wie Niels Grabow erklärt. "Aber nach einer Transplantation muss das Konstrukt in Wechselwirkung mit dem Organismus funktionieren", sagt der Sprecher des Fachausschusses Biomaterialien und medizinische Implantate der Deutschen Gesellschaft für Biomedizinische Technik. "Auf der einen Seite ist das Transplantat im Körper möglicherweise mit Blut in Kontakt, während es auf der anderen mit Gewebszellen in Kontakt steht."
Die Cornea sei mehr oder weniger zweidimensional, sagt Grabow, der am Institut für Biomedizinische Technik der Universitätsmedizin Rostock ebenfalls zur Hornhaut forscht. "Da hat man hohe Chancen, dass man die Versorgung vergleichsweise gut hinbekommt."
Je weiter man aber in den Körper hineingehe und je größer die Organe würden, desto schwerer werde etwa die Anbindung an Blutgefäße, erklärt er und nennt die Leber als Beispiel. "Da sprechen wir von einem Kilogramm-schweren Organ und nicht von einer dünnen Zellschicht."
Worauf kommt es an?
Das neue Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) betont, die verwendeten Materialien und Prozesse müssten standardisiert und reproduzierbar sein, damit jeder Druckvorgang immer ein vergleichbares Ergebnis erziele. Im Mai sei dazu nach zwei Pilotprojekten eine Richtlinie des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) veröffentlicht worden. "Auf diese Weise wurde ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur standardisierten Anwendung des Bioprintings erreicht."
Gibt es schon reale Einsatzbeispiele an Menschen?
Bislang beschränkt sich das laut Grabow auf Einzelstudien zum Beispiel zur Hornhaut. "Hier sind die Hürden vergleichsweise niedrig, um an Patienten zu gehen, da das Transplantat von außen zugänglich bleibt." Meist umfassen die Studien demzufolge nur wenige Betroffene.
"Ein großer Teil aktueller Studien befasst sich mit der Herstellung spezifischer Gewebe wie Knochen, Knorpel, Haut oder anderer Organe", heißt es in der BMBF-Broschüre. Erste Anwendungsfälle wie die Transplantation einer 3D-gedruckten Ohrmuschel aus Zellen des Patienten seien schon umgesetzt.
Welche Vorteile hat Bioprinting noch?
Das Bundesgesundheitsministerium nennt die Untersuchung von Krankheiten wie Krebs im Labor als Beispiel. "Hierbei werden geeignete Gewebemodelle gedruckt, um spezifische Wirkstoffe und neue Behandlungsmethoden beispielsweise zur Krebstherapie zu testen."
Forscherin Schepers sieht in dem sogenannten veganen Kollagen, mit dem das KIT arbeitet, auch eine wichtige Alternative zu Tierversuchen.
Apropos: Ist Bioprinting auch für Tiere denkbar?
Grabow sieht hier hohes Potenzial - sowohl für die Forschung als auch für die Anwendung: "Man kann nicht alles in Zellkulturen studieren", sagt er. Da aber auch Haustiere von Cornea-Problemen betroffen sein können, könnte man sie in die Studien integrieren - und ihnen so im besten Fall direkt helfen, ohne zusätzliche Tierversuche.
Wie wird Bioprinting in Deutschland reguliert?
Viele Fragen sind Grabow zufolge offen. Dabei gehe es unter anderem darum, woher die Zellen kommen: Müssen sie vom Patienten selbst stammen, kommen Spenderzellen infrage, können Stammzellen genutzt werden? Die EU sei eher dabei, dies stärker zu regulieren. "Hier muss man schauen, welche Brücken man gehen kann", sagt er. Gibt es zum Beispiel Ausnahmen etwa für Heilversuche bei Schwerstkranken, bei denen etablierte Therapien nicht mehr wirken?
Die WHO schreibt in einem Bericht, die Regulierung sei eine Herausforderung wegen der neuartigen Kombinationen und Formen medizinischer Eingriffe, die die Technologie ermöglicht. Das Bundesgesundheitsministerium erklärt: "In Anbetracht des frühen Entwicklungsstadiums von Bioprinting-Produkten ist ein Bedarf für regulatorische Anpassungen derzeit nicht erkennbar."
Bei all den Herausforderungen - ist Bioprinting überhaupt ein Trend?
Ja, das Forschungsfeld hat deutlich an Fahrt aufgenommen. "Die Anzahl der jährlichen wissenschaftlichen Publikationen zum Thema hat sich weltweit in den letzten zehn Jahren auf derzeit rund 1.000 verdreißigfacht", heißt es im BMBF-Bericht. Das neue BMFTR verweist auf ein Anfang 2025 veröffentlichtes Materialforschungsprogramm. Bei dazu geplanten Fördermodulen solle der Fokus voraussichtlich noch stärker auf Aspekten des Bioprintings liegen.
Grabow berichtet von sehr vielen Bewerbungen für Forschungsgelder. Bei einer Ausschreibung der EU im vergangenen Jahr hätten selbst Projekte mit bester Bewertung nicht berücksichtigt werden können.
Ablesen lasse sich das auch am wirtschaftlichen Interesse: Firmen investierten reichlich Kapital in die Forschung. "Da stecken viele Hoffnungen drin", sagt Grabow. Zudem würden viele Patente in dem Bereich angemeldet./kre/DP/zb