RAMALLAH (dpa-AFX) - Außenminister Johann Wadephul hat Israel mit deutlichen Worten vor einer Annexion des Westjordanlandes gewarnt. Bei einem Besuch dort verurteilte er zudem in scharfer Form die zunehmende Gewalt jüdischer Siedler gegen die palästinensische Bevölkerung. Nach einem Gespräch mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in Ramallah betonte der CDU-Politiker: "Wir unterstützen das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat zum Ende eines politischen Prozesses."
Der Außenminister sagte, Deutschland sei nach einem Ende des Gaza-Krieges bereit, den Wiederaufbauprozess aktiv zu unterstützen. Dafür sei eine Erneuerung der demokratischen Legitimation der palästinensischen Autonomiebehörde nötig. Sie dürfe aber auch nicht finanziell ausgetrocknet werden. Wadephul forderte die israelische Regierung auf, zurückgehaltene Steuergelder, die den Palästinensern rechtmäßig zustünden, an die Behörde weiterzugeben. Die Hamas dürfe in einem künftigen palästinensischen Staat keine politische Rolle spielen.
Deutschland würde Annexionen nicht anerkennen
Ausgang der Annexionssorgen sind Äußerungen israelischer Politiker und eine jüngst vom Parlament gefasste Resolution. In ihr wird die rechts-religiöse Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu dazu aufgefordert, die "Souveränität" des Staates Israel auf alle jüdischen Siedlungen im Westjordanland auszudehnen.
"Jegliche Annexionsphantasien, sie es für Gaza oder für das Westjordanland, die auch von Teilen der israelischen Regierung hervorgebracht werden, lehnen wir klar ab", sagte der CDU-Politiker. "Sie würden von Deutschland nicht anerkannt werden."
"Gewalt von Siedlern ist Terror"
Wadephul besuchte im Westjordanland die Ortschaft Taybeh, die in den vergangenen Monaten mehrfach überfallen worden war. Er sah sich dort unter anderem zwei ausgebrannte Autos an und sprach mit dem Bürgermeister und drei Geistlichen. "Wir sind hier von Siedlern umgeben. Wir können nicht in Stabilität und Sicherheit leben", klagte einer von ihnen. Dabei seien sie doch friedliche Menschen. Taybeh ist mehrheitlich von christlichen Palästinensern bewohnt.
"Solche Taten sind Verbrechen, sie sind Terror und sie gehören endlich polizeilich verfolgt", sagte Wadephul zu den Überfällen. "Israel muss als Besatzungsmacht und als Rechtsstaat Sicherheit und Ordnung durchsetzen und Straftaten verfolgen", sagte Wadephul. "Es muss die palästinensische Bevölkerung vor diesen Straftätern schützen."
Die Bundesregierung setze sich auf europäischer Ebene für weitere Sanktionen gegen gewalttätige Siedler ein. Die Position der Bundesregierung sei eindeutig: "Die Politik des Siedlungsbaus ist völkerrechtswidrig." Das habe er am Vortag auch seinen Gesprächspartnern in Jerusalem gesagt. "Die illegalen Siedlungen sind ein Stein gewordenes Hindernis für die Zweistaatenlösung", kritisierte Wadephul.
Überfälle jüdischer Siedler nehmen mit Gaza-Krieg stark zu
Die Lage im Westjordanland hat sich seit Beginn des Gaza-Krieges deutlich verschärft. Seitdem wurden dort nach Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums bei israelischen Militäreinsätzen, bewaffneten Auseinandersetzungen und Anschlägen von Extremisten mehr als 960 Palästinenser getötet.
Zugleich gibt es verstärkt Gewalt radikaler israelischer Siedler gegen palästinensische Zivilisten. Der Regierung von Benjamin Netanjahu wird vorgeworfen, sie lasse den Siedlern dabei freie Hand.
Weitere Hilfen für hungernde Menschen in Gaza
Wadephul hatte sich zuvor in Ost-Jerusalem am Hauptsitz des Büros der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) aus erster Hand über die Lage im Gazastreifen informieren lassen. Dabei kündigte er an, dass die Bundesregierung dem UN-Welternährungsprogramm WFP zusätzliche fünf Millionen Euro zur Verfügung stellt.
"Damit werden unter anderem Bäckereien und Suppenküchen unterstützt, um die Menschen in Gaza auch mittelfristig mit Brot und warmen Mahlzeiten zu versorgen", sagte Wadephul. Außerdem finanziere die Bundesregierung ein Feldkrankenhaus der Malteser. Dieses wird demnach in Gaza-Stadt eine dringend benötigte grundlegende Gesundheitsversorgung anbieten.
Außenminister fordert enge Zusammenarbeit mit UN
Wadephul forderte die israelische Regierung auf, bei der humanitären Hilfe für den Gazastreifen schnell zu einer engen Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen und ihren Institutionen zurückzukehren. Deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hätten "klar gezeigt, dass sie in der Lage sind, alle Menschen in Gaza ausreichend zu versorgen, wenn man sie lässt und wenn sie in Sicherheit arbeiten können".
Der Außenminister schloss nicht aus, dass ein Teil der Hilfe von der terroristischen Hamas abgezweigt werden könne. Aber: "Die humanitäre Katastrophe im Gazastreifen ist jetzt so groß, dass es nicht gerechtfertigt ist, hier weitere Hürden aufzubauen." Im Übrigen sei das beste Mittel, um Missbrauch zu verhindern, möglichst viele Lebensmittel und Hilfsgüter in den Gazastreifen hereinzulassen.
Nach Angaben des Auswärtigen Amtes beläuft sich die deutsche humanitäre Hilfe für die Palästinensischen Gebiete seit Beginn des Gaza-Krieges im Oktober 2023 auf mehr 330 Millionen Euro. Mehr als 95 Prozent davon würden für die Bevölkerung im Gazastreifen verwendet. Zuletzt wurden die Hilfen im Mai um bis zu knapp 31 Millionen Euro aufgestockt./sk/DP/zb