ESSEN/LINGEN (dpa-AFX) - Vor gut zwei Jahren wurden in Deutschland die letzten drei Atomkraftwerke endgültig abgeschaltet. Die Betreiberfirmen mussten danach laut Atomgesetz "unverzüglich" mit dem Abbau beginnen - wie bei allen schon früher stillgelegten Atomkraftwerken auch. Wie kommt der sogenannte Rückbau mittlerweile voran? Wie lange wird es noch dauern? Und wer bezahlt das? Eine Übersicht über die wichtigsten Aspekte des Rückbaus.
Wie viele Atomkraftwerke müssen noch abgerissen werden?
33. So viele Kernkraftwerke mit sogenannten Leistungsreaktoren sind stillgelegt, sagt das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE). Die meisten befinden sich im Westen Deutschlands. Für alle Anlagen liegen die nötigen Stilllegungs- und Abbaugenehmigungen vor.
Läuft der Rückbau schon?
Ja. "Seit dem Ausstieg aus der kommerziellen Nutzung der Kernenergie in Deutschland am 15. April 2023 ist der Rückbau aller Kernkraftwerke in Deutschland im vollen Gange", teilt das BASE mit. Je nach Beginn der Maßnahmen ist der Rückbau unterschiedlich weit vorangeschritten.
Eine Besonderheit gibt es in Hamm-Uentrop: Der dortige Thorium-Hochtemperaturreaktor wurde stillgelegt und nach der Entfernung der Brennelemente 1997 sicher eingeschlossen, also quasi versiegelt. Es ist die einzige Anlage im sogenannten "Sicheren Einschluss". Laut BASE ist der "nukleare Abbau" dort erst ab 2030 vorgesehen.
Sind schon Reaktoren komplett zurückgebaut worden?
Ja, drei kleinere Anlagen. Darunter ist auch das Versuchs-Atomkraftwerk Kahl in Unterfranken in der Nähe von Aschaffenburg. Es war Deutschlands erstes kommerzielles Kernkraftwerk. Im November 1960 hatte es seinen Betrieb aufgenommen. 1985 wurde es abgeschaltet. Der Rückbau dauerte bis 2010.
Warum sind erst drei Anlagen abgebaut worden?
Weil man ein Atomkraftwerk aus Sicherheitsgründen nicht mal eben so abreißen kann. In einem aufwendigen Prozess wird in den Anlagen jedes einzelne Bauteil erfasst, zerlegt, auf Radioaktivität geprüft und gegebenenfalls gereinigt. Laut Bundesumweltministerium veranschlagen die Betreiber für den Abbau in der Regel zehn bis fünfzehn Jahre bis zur Entlassung aus der sogenannten atomrechtlichen Überwachung. Getrödelt wird dabei laut Ministerium nicht: Die Betreiber kämen dem Gebot des Atomgesetzes zum unverzüglichen Abbau nach der Abschaltung "ordnungsgemäß" nach, berichtet das Ministerium auf seiner Internetseite.
Welche Atomkraftwerke verschwinden als Nächstes?
Einige Rückbauprojekte sind schon weit fortgeschritten, zum Beispiel die Kernkraftwerke Würgassen und Stade, wie das BASE berichtet. Stade etwa werde seit 2005 zurückgebaut. "Aktuell läuft die Phase 4, in der restliche kontaminierte Anlagenteile abgebaut und anschließend die Kontaminationsfreiheit nachgewiesen werden", erklärt die Behörde. Der konventionelle Abbruch hat auch schon begonnen. Er soll bis Ende 2026 abgeschlossen sein.
Was ist mit den drei zuletzt abgeschalteten Atomkraftwerken?
In allen drei Atomkraftwerken - Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland - wurden die Brennelemente aus dem Reaktor entfernt und zum sogenannten Abklingen in ein Lagerbecken umgesetzt. Außerdem wurde laut BASE der sogenannte Primärkreislauf dekontaminiert, also von radioaktiv belasteten Teilen befreit.
Im Kraftwerk Emsland laufen aktuell die Vorbereitungen für die Demontage wichtiger Anlagenteile. So soll in den kommenden Wochen mit dem Abbau zentraler Wasser- und Dampfleitungen begonnen werden, wie der Energiekonzern RWE mitteilte. Der 108 Tonnen schwere Deckel des Reaktor-Druck-Behälters liegt ebenfalls schon bereit, um zerschnitten zu werden. RWE rechnet damit, Mitte der 2030er Jahre mit dem Rückbau fertig zu sein.
Wer muss den Rückbau bezahlen und was kostet das Ganze?
"Der Rückbau eines Atomkraftwerkes ist eine immens komplexe und auch kostenintensive Aufgabe", erklärt BASE-Präsident Christian Kühn.
Und genau geregelt: Für Stilllegung, Rückbau und fachgerechte Verpackung der radioaktiven Abfälle etwa in Spezialbehältern sind in Westdeutschland die Betreiberfirmen der Kraftwerke zuständig. Die Zwischen- und Endlagerung übernimmt der Bund. Die Stromkonzerne haben dazu Milliardenbeträge in einen Fonds eingezahlt.
Beim Rückbau rechnen Behörden und Betreiber mit rund einer Milliarde Euro pro Reaktorblock. Es können aber auch deutlich mehr sein. So hat der Energiekonzern RWE nach eigenen Angaben für den Rückbau des Kraftwerks Emsland derzeit Rücklagen in Höhe von 1,37 Milliarden Euro gebildet.
Jährlich erstellt die Bundesregierung für den Bundestag einen detaillierten Bericht, in dem es um die Rückstellungen der Betreiberfirmen geht. Laut dem jüngsten Bericht hatten die fünf Konzerne RWE, Eon, Vattenfall, EnBW und die Stadtwerke München Ende 2023 insgesamt rund 19,3 Milliarden Euro für ihre Rückbauverpflichtungen zurückgelegt.
In Ostdeutschland ist die Finanzierung des Rückbaus anders geregelt. Weil die Kernkraftwerke Greifswald und Rheinsberg zu DDR-Zeiten staatlich waren, wird dort der Rückbau vom Bund übernommen.
Gibt es auch kritische Stimmen?
Ja. So bemängelt etwa der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dass der Rückbau des Atomkraftwerks Greifswald nun bis in die 2040er Jahre dauern wird. "Ursprünglich war das Jahr 2012 anvisiert. Das zeigt einmal mehr, wie schlecht kalkulierbar Atomkraftprojekte sind", erklärt Juliane Dickel, beim BUND zuständig für Atom- und Energiepolitik.
Beim Rückbau müsse der Schutz von Mensch und Umwelt vor radioaktiver Strahlung oberste Priorität haben, fordert der Verband. Jede Strahlenbelastung müsse vermieden werden. "Nur die Stoffe, die nachweislich keine Kontamination durch den Betrieb aufweisen, dürfen freigegeben werden", so Dickel weiter./tob/DP/stw