Zürich / Raphe, Äthiopien (ots) -
Im Bezirk Raphe im Süden Äthiopiens leben Angehörige des Gedeo-Volks in einem der eindrücklichsten Agrarsysteme der Welt - den von der UNESCO ausgezeichneten Waldgärten. Doch das Gleichgewicht ist ins Wanken geraten. Obwohl die Gedeo für ihren Fleiss und ihre Solidarität bekannt sind, können viele Familien sich und ihre Kinder nicht mehr ernähren.
Es ist kein Ort, an dem man Hunger erwarten würde. Baumriesen säumen die Hänge, ihre Kronen ragen bis zu 30 Meter in den Himmel. Unter ihnen gedeiht der berühmte äthiopische Waldkaffee, geschützt vom Schatten der Ensete-Stauden, deren riesige Blätter im Sonnenlicht leuchten. Am Boden: Bohnen, Kohl, Kartoffeln. Die Gedeo in Südäthiopien bewirtschaften ihre Heimat in einem jahrhundertealten System der Etagenlandwirtschaft - dem Agroforst. Ihre Produktivität ist erstaunlich. Und doch herrschen Mangel und Not in vielen Häusern und Hütten im Bezirk Raphe.
So wie bei Wude Sisay und ihrem Mann Sisay Beraso im Dorf Halemo. Beide sind Mitte zwanzig, sie haben zwei kleine Kinder. Die Familie wohnt in einer Hütte aus Holzprügeln mit einem Dach aus Plastikfolie. Durch die Ritzen dringt der Strassenstaub. "Es gab viele Tage, an denen wir nichts zu essen hatten", sagt Wude. "Auch die Kinder nicht."
Die Ursachen liegen in fehlendem Land. Wie viele junge Familien besitzt das Paar keinen eigenen Waldgarten. Raphe ist etwa so gross wie der Kanton Appenzell Innerrhoden, aber sechsmal so dicht besiedelt. Mit jeder Generation werden die Grundstücke kleiner - und viele Familien gehen leer aus. Sisay ist einer von neun Geschwistern. Sein Vater kann ihm keinen Acker abtreten, er braucht das Land selbst.
Wucherzinsen von 100 Prozent
Sisay verdingt sich als Tagelöhner. Seine Tageslöhne liegen bei umgerechnet 63 Rappen - ein Betrag, der nicht reicht, um eine Familie zu ernähren. Wude arbeitete lange in der Produktion von Kotcho, einem Grundnahrungsmittel, das aus den Ensete-Stauden gewonnen wird. Sie wurde mit Restmengen entlohnt. Ohne Land und ohne Zugang zu Finanzdienstleistungen war das Paar gefangen in einem Kreislauf der Abhängigkeit. Private Geldverleiher verlangen Wucherzinsen von 100 Prozent im Jahr. "Wir wollten uns nicht ständig an Sisays Vater wenden", sagt Wude. "Wir schämten uns."
Über Jahrhunderte haben die Ressourcen für alle gereicht. Doch das System ist aus der Balance geraten. Die Bevölkerung in Raphe wächst schnell - mit jeder Generation wird das Land knapper, die Parzellen kleiner. "Die Menschen hier erinnern uns an die traditionelle Schweiz", sagt Michael Kesselring, Co-Geschäftsführer von Menschen für Menschen. "Sie leben in einer bergigen Landschaft, arbeiten hart und ausdauernd, zeigen grossen Gemeinsinn - und betreiben ein über Generationen gewachsenes, nachhaltiges Landnutzungssystem. Aber jetzt braucht es Unterstützung. Deshalb sind wir als erstes und einziges Hilfswerk in Raphe tätig." Menschen für Menschen setzt auf mehr Erträge in der Landwirtschaft- und auf die Frauen: "In jeder Gemeinde gründen wir Spargruppen, organisieren Schulungen und begleiten die Frauen bei ersten unternehmerischen Schritten in ihr eigenes Kleinstunternehmen."
Familienplanung ist entscheidend
Wude Sisay erhielt bereits einen ersten Mikrokredit von 45 Franken. Damit kaufte sie unreife Avocados auf dem Markt. Nach einer Woche Reifezeit verkauft sie sie mit 20 Prozent Aufschlag weiter. Das nächste Ziel: Schafe kaufen und deren Lämmer zu kirchlichen Festen verkaufen - wenn die Preise steigen. Auch die Familienplanung wird gezielt unterstützt. "Viele Paare wollen Abstand zwischen den Geburten", sagt Claudio Capaul, Co-Geschäftsführer von Menschen für Menschen. Der Staat bietet zwar theoretisch Verhütungsmittel an - aber oft sind sie in den abgelegenen Gesundheitsstationen nicht vorrätig. "Deshalb bringen wir jetzt die Präparate mit unseren Fahrzeugen dorthin, wo sie gebraucht werden." Wude hat sich ein Hormonstäbchen einsetzen lassen. Es schützt drei Jahre vor Schwangerschaft. "Wir müssen uns jetzt auf unsere Zukunft konzentrieren", sagt sie. "Ein drittes Kind können wir uns da nicht leisten."
Besondere Widrigkeiten
Die Arbeit vor Ort ist eine Herausforderung. Es gibt keine angemessenen Unterkünfte mit Mindeststandard, keine Restaurants, keine Läden. "Aber wir als kleine Organisation wollen gerade dort helfen, wo andere nicht hinkommen", sagt Capaul. "Unsere Mitarbeitenden nehmen deshalb besondere Widrigkeiten auf sich."
Insgesamt sollen 3600 besonders arme Familien erreicht werden. In jeder Gemeinde bildet Menschen für Menschen zwölf freiwillige Familienplanungsberaterinnen und -berater aus. Es werden leistungsfähigere Saaten eingeführt, die kleinen Bauernhöfe für den Markt optimiert und Baumsetzlinge verteilt. Um die Wasserversorgung zu verbessern, baut das Projekt 15 neue Brunnen.
Wude Sisay, deren Kinder noch vor kurzem häufig ohne Abendessen ins Bett mussten, ist zuversichtlich: "Mein Mann ist ein harter Arbeiter. Auch ich packe zu." Die Starthilfen aus Schulungen und Mikrokrediten würde die Familie aus der Armutsfalle führen: "Wir werden in zwei Jahren ein besseres Haus haben und unsere Kinder werden wir mit allem versorgen können, was sie brauchen - mit Essen, Kleidung, Schulbedarf."
Menschen für Menschen (https://www.menschenfuermenschen.ch/) setzt sich gegen Armut und Hunger ein. Die Stiftung wurde von dem Schauspieler Karlheinz Böhm (1928 - 2014) gegründet. Im Geiste des Gründers schafft das Schweizer Hilfswerk Lebensperspektiven für die ärmsten Familien in Äthiopien. Ziel der Arbeit ist es, dass sie in ihrer Heimat menschenwürdig leben können. Schwerpunkte der einzelnen Projekte sind Frauenförderung, Berufsbildung, Mikrokredite, Kinderhilfe, Familienplanung und landwirtschaftliche Entwicklung. Die Komponenten werden nach den lokalen Bedürfnissen kombiniert und mit sorgfältig ausgewählten einheimischen Partnern umgesetzt.
Spendenkonto:
Postkonto 90-700 000-4, IBAN: CH97 0900 0000 9070 0000 4. Online spenden: www.mfm.ch
Für zusätzliche Informationen oder Interviews mit Experten wenden Sie sich bitte an:
Michael Kesselring | m.kesselring@mfm.ch | Tel.: +41 (0)43 499 10 60
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Originalmeldung: https://www.presseportal.ch/de/pm/100007199/100934661
Im Bezirk Raphe im Süden Äthiopiens leben Angehörige des Gedeo-Volks in einem der eindrücklichsten Agrarsysteme der Welt - den von der UNESCO ausgezeichneten Waldgärten. Doch das Gleichgewicht ist ins Wanken geraten. Obwohl die Gedeo für ihren Fleiss und ihre Solidarität bekannt sind, können viele Familien sich und ihre Kinder nicht mehr ernähren.
Es ist kein Ort, an dem man Hunger erwarten würde. Baumriesen säumen die Hänge, ihre Kronen ragen bis zu 30 Meter in den Himmel. Unter ihnen gedeiht der berühmte äthiopische Waldkaffee, geschützt vom Schatten der Ensete-Stauden, deren riesige Blätter im Sonnenlicht leuchten. Am Boden: Bohnen, Kohl, Kartoffeln. Die Gedeo in Südäthiopien bewirtschaften ihre Heimat in einem jahrhundertealten System der Etagenlandwirtschaft - dem Agroforst. Ihre Produktivität ist erstaunlich. Und doch herrschen Mangel und Not in vielen Häusern und Hütten im Bezirk Raphe.
So wie bei Wude Sisay und ihrem Mann Sisay Beraso im Dorf Halemo. Beide sind Mitte zwanzig, sie haben zwei kleine Kinder. Die Familie wohnt in einer Hütte aus Holzprügeln mit einem Dach aus Plastikfolie. Durch die Ritzen dringt der Strassenstaub. "Es gab viele Tage, an denen wir nichts zu essen hatten", sagt Wude. "Auch die Kinder nicht."
Die Ursachen liegen in fehlendem Land. Wie viele junge Familien besitzt das Paar keinen eigenen Waldgarten. Raphe ist etwa so gross wie der Kanton Appenzell Innerrhoden, aber sechsmal so dicht besiedelt. Mit jeder Generation werden die Grundstücke kleiner - und viele Familien gehen leer aus. Sisay ist einer von neun Geschwistern. Sein Vater kann ihm keinen Acker abtreten, er braucht das Land selbst.
Wucherzinsen von 100 Prozent
Sisay verdingt sich als Tagelöhner. Seine Tageslöhne liegen bei umgerechnet 63 Rappen - ein Betrag, der nicht reicht, um eine Familie zu ernähren. Wude arbeitete lange in der Produktion von Kotcho, einem Grundnahrungsmittel, das aus den Ensete-Stauden gewonnen wird. Sie wurde mit Restmengen entlohnt. Ohne Land und ohne Zugang zu Finanzdienstleistungen war das Paar gefangen in einem Kreislauf der Abhängigkeit. Private Geldverleiher verlangen Wucherzinsen von 100 Prozent im Jahr. "Wir wollten uns nicht ständig an Sisays Vater wenden", sagt Wude. "Wir schämten uns."
Über Jahrhunderte haben die Ressourcen für alle gereicht. Doch das System ist aus der Balance geraten. Die Bevölkerung in Raphe wächst schnell - mit jeder Generation wird das Land knapper, die Parzellen kleiner. "Die Menschen hier erinnern uns an die traditionelle Schweiz", sagt Michael Kesselring, Co-Geschäftsführer von Menschen für Menschen. "Sie leben in einer bergigen Landschaft, arbeiten hart und ausdauernd, zeigen grossen Gemeinsinn - und betreiben ein über Generationen gewachsenes, nachhaltiges Landnutzungssystem. Aber jetzt braucht es Unterstützung. Deshalb sind wir als erstes und einziges Hilfswerk in Raphe tätig." Menschen für Menschen setzt auf mehr Erträge in der Landwirtschaft- und auf die Frauen: "In jeder Gemeinde gründen wir Spargruppen, organisieren Schulungen und begleiten die Frauen bei ersten unternehmerischen Schritten in ihr eigenes Kleinstunternehmen."
Familienplanung ist entscheidend
Wude Sisay erhielt bereits einen ersten Mikrokredit von 45 Franken. Damit kaufte sie unreife Avocados auf dem Markt. Nach einer Woche Reifezeit verkauft sie sie mit 20 Prozent Aufschlag weiter. Das nächste Ziel: Schafe kaufen und deren Lämmer zu kirchlichen Festen verkaufen - wenn die Preise steigen. Auch die Familienplanung wird gezielt unterstützt. "Viele Paare wollen Abstand zwischen den Geburten", sagt Claudio Capaul, Co-Geschäftsführer von Menschen für Menschen. Der Staat bietet zwar theoretisch Verhütungsmittel an - aber oft sind sie in den abgelegenen Gesundheitsstationen nicht vorrätig. "Deshalb bringen wir jetzt die Präparate mit unseren Fahrzeugen dorthin, wo sie gebraucht werden." Wude hat sich ein Hormonstäbchen einsetzen lassen. Es schützt drei Jahre vor Schwangerschaft. "Wir müssen uns jetzt auf unsere Zukunft konzentrieren", sagt sie. "Ein drittes Kind können wir uns da nicht leisten."
Besondere Widrigkeiten
Die Arbeit vor Ort ist eine Herausforderung. Es gibt keine angemessenen Unterkünfte mit Mindeststandard, keine Restaurants, keine Läden. "Aber wir als kleine Organisation wollen gerade dort helfen, wo andere nicht hinkommen", sagt Capaul. "Unsere Mitarbeitenden nehmen deshalb besondere Widrigkeiten auf sich."
Insgesamt sollen 3600 besonders arme Familien erreicht werden. In jeder Gemeinde bildet Menschen für Menschen zwölf freiwillige Familienplanungsberaterinnen und -berater aus. Es werden leistungsfähigere Saaten eingeführt, die kleinen Bauernhöfe für den Markt optimiert und Baumsetzlinge verteilt. Um die Wasserversorgung zu verbessern, baut das Projekt 15 neue Brunnen.
Wude Sisay, deren Kinder noch vor kurzem häufig ohne Abendessen ins Bett mussten, ist zuversichtlich: "Mein Mann ist ein harter Arbeiter. Auch ich packe zu." Die Starthilfen aus Schulungen und Mikrokrediten würde die Familie aus der Armutsfalle führen: "Wir werden in zwei Jahren ein besseres Haus haben und unsere Kinder werden wir mit allem versorgen können, was sie brauchen - mit Essen, Kleidung, Schulbedarf."
Menschen für Menschen (https://www.menschenfuermenschen.ch/) setzt sich gegen Armut und Hunger ein. Die Stiftung wurde von dem Schauspieler Karlheinz Böhm (1928 - 2014) gegründet. Im Geiste des Gründers schafft das Schweizer Hilfswerk Lebensperspektiven für die ärmsten Familien in Äthiopien. Ziel der Arbeit ist es, dass sie in ihrer Heimat menschenwürdig leben können. Schwerpunkte der einzelnen Projekte sind Frauenförderung, Berufsbildung, Mikrokredite, Kinderhilfe, Familienplanung und landwirtschaftliche Entwicklung. Die Komponenten werden nach den lokalen Bedürfnissen kombiniert und mit sorgfältig ausgewählten einheimischen Partnern umgesetzt.
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Originalmeldung: https://www.presseportal.ch/de/pm/100007199/100934661
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