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BERLIN (dpa-AFX) - Zehntausende Haushalte im Südosten Berlins und viele Firmen mussten einen ganzen Tag und vielleicht noch länger ohne Strom auskommen - Grund ist vermutlich ein linksextremistischer Brandanschlag auf Starkstromkabel. Die meisten der betroffenen Menschen im Bezirk Treptow-Köpenick können auch in der Nacht zu Mittwoch nicht wieder mit Strom rechnen.
"Es ist nicht davon auszugehen, dass der Strom am heutigen Tage wieder eingeschaltet werden kann", teilte die Feuerwehr am Nachmittag mit. Die Arbeiten könnten noch bis Mittwoch dauern, sagte auch Stromnetz Berlin-Geschäftsführer Erik Landeck vor Ort. Wie es dann weitergehen wird, stand am Nachmittag noch nicht fest. Angekündigt wurde aber, dass mehr als zehn Schulen geschlossen bleiben.
Die Polizei fuhr mit Lautsprecherwagen durch die Straßen und sagte durch: "Es besteht keine akute Gefahr." Sie forderte die Menschen auf, Taschenlampen einzusetzen und Handys sparsam zu benutzen. In Notfällen sollten die Menschen Polizeiwachen aufsuchen.
Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) kündigte an, dass noch am Dienstag zwei sogenannte Katastrophenschutz-Leuchttürme - das sind Anlaufstellen für Krisenfälle mit Personal und Stromversorgung - aufgebaut und in Betrieb genommen werden sollten.
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) teilte mit, der Stromausfall sei Folge eines gefährlichen Anschlags, der sich unmittelbar gegen die Berliner richte. "Mit diesem Angriff auf unsere Strominfrastruktur wurden bewusst Menschenleben und die Sicherheit unserer Stadt gefährdet."
Bekennerschreiben aufgetaucht
Unterdessen prüft das Landeskriminalamt (LKA) ein Bekennerschreiben, das auf der linksradikalen Internetseite "Indymedia" veröffentlicht wurde. In dem Text hieß es, der Anschlag richte sich gegen den Technologiepark Adlershof. "Den technologischen Angriff sabotieren - dem militärisch-industriellen Komplex den Saft abdrehen." Unterzeichnet wurde das Schreiben mit: "Einige Anarchist:innen".
Der Alarm bei der Feuerwehr ging um 3.30 Uhr ein. Die Täter hatten mit Hilfe eines sogenannten Brandbeschleunigers, also etwa Benzin, am Fuß von zwei großen Strommasten nahe einem Wohnviertel mit Einfamilienhäusern und viel Grün am Königsheideweg Feuer gelegt. Die Flammen zerstörten mehrere dicke Starkstromleitungen.
Eine Stunde brauchten Feuerwehrleute, um den Brand zu löschen. Kriminaltechniker untersuchten am Morgen den Tatort. Ein Anwohner erzählte, eine Nachbarin habe nachts "ein Knistern und einen Knall" gehört.
15.000 Haushalte wieder am Netz, die anderen warten
Durch den Schaden wurde die Stromversorgung in den umliegenden Stadtvierteln lahmlegt. Rund 50.000 Haushalte und Firmen waren betroffen, wie ein Sprecher von Stromnetz Berlin sagte. Davon konnten 15.000 Haushalte bis zum späten Vormittag wieder an die Energieversorgung angeschlossen werden. Der Rest harrte weiter aus.
In Berlin kommt es immer wieder zu Stromausfällen, allerdings von kleinerem Ausmaß. "Diese Dimension ist die absolute Ausnahme", sagte der Sprecher.
Außerdem waren Schulen, Kitas und zwei Pflegeheime ohne Strom. Ampeln und Straßenbeleuchtung fielen aus. Die Feuerwehr kümmerte sich um die beiden Heime. Mehrere Patienten, die auf Beatmungen angewiesen waren, wurden in Krankenhäuser verlegt.
Taschenlampen nutzen
Mobilfunk- und Festnetzverbindungen sowie die Erreichbarkeit der Notrufe 110 und 112 waren teilweise gestört. Die Polizei forderte dazu auf, sich in dringenden Notfällen direkt an die nächstgelegene Wache zu wenden.
Außerdem warnte sie: "Kochen Sie niemals mit dem Grill oder Campingkochern in geschlossenen Räumen. Vorsicht beim Umgang mit Kerzen. Lassen Sie diese zu keinem Zeitpunkt unbeaufsichtigt. Nutzen Sie, wenn möglich, Taschenlampen."
Auf den Durchgangsstraßen von Köpenick Richtung Innenstadt und auch in den Wohnvierteln blieb es laut Polizei ruhig. Auch von mehr Unfällen oder sonstigen Zwischenfällen wurde nichts bekannt. Polizisten regelten an Kreuzungen mit ausgefallenen Ampeln den Verkehr. "Wir sind auch sonst auf den Straßen präsent, um ansprechbar zu sein", sagte eine Polizeisprecherin.
Die S-Bahnen fuhren, aber viele Lautsprecheransagen, Anzeigen, Aufzüge und Fahrkartenautomaten funktionierten nicht.
Dunkle Geschäfte, weggeschickte Kunden
Das große Einkaufszentrum Schöneweide wirkte wie ausgestorben, die Geschäfte waren dunkel, Verkäufer saßen drinnen. Nur ein Supermarkt war hell erleuchtet. Bei einem anderen stand ein Einkaufswagen mit einem Schild quer in der geöffneten Ladentür: "Geschlossen Stromausfall !!!!"
Ein Friseur sagte, er habe sich schon beim Aufstehen gewundert: "Alles war so dunkel." Im Laden habe es dann am Morgen geheißen: "Wir können nicht arbeiten." Bis mittags habe sich das auch nicht geändert, es sei zu dunkel in den Räumen.
Eine Apothekerin berichtete: "Wir müssen Kunden wegschicken, wir können nicht kassieren, wir können die Rezepte nicht einlösen. Wir mussten unsere Kühlware woanders hinbringen und das ganz, ganz schnell."
"Blackout verursacht"
Die mutmaßlichen Täter schrieben im Internet: "Zwei 110KV Strommasten in der Königsheide in Johannisthal wurden durch Brandstiftung der Saft abgedreht und damit ein Blackout im Technologiepark verursacht." Dort seien Firmen und Forschung aus den Bereichen IT, Robotik, Bio- & Nanotechnologie, Raumfahrt, KI, Sicherheits- und Rüstungsindustrie vertreten.
In dem ausführlichen Text wurden auch mehrere bekannte Firmennamen erwähnt. Dazu hieß es, jedes denkbare Geschäftsmodell dieser Hightech-Industrie fungiere auf die ein oder andere Weise systemstabilisierend und sei unter anderem ein Produkt militärischer Interessen. Zugleich wurden die vom Stromausfall betroffenen Anwohner von den Autoren um Nachsicht gebeten.
Ein Sprecher des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt sagte der dpa: "Es gab bei uns in Adlershof einen Stromausfall, aber wir verfügen über die notwendigen technischen Einrichtungen, um die Stromversorgung des DLR weiterhin sicherzustellen."
Nach Angaben der Stromnetz-Betreiber ist der Fall vergleichbar mit einer Störung 2019 in Köpenick. Damals war ein Kabel bei Bauarbeiten beschädigt worden. Der Stromausfall traf mehr als 30.000 Haushalte und 2.000 Gewerbebetriebe und dauerte rund 30 Stunden./rab/DP/nas