GAZA (dpa-AFX) - Das israelische Militär hat seine Angriffe auf die Stadt Gaza Berichten zufolge massiv intensiviert. Kampfflugzeuge flogen in der Nacht laut der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa nahezu ununterbrochen heftige Attacken auf die im Norden des Gazastreifens gelegene Stadt, begleitet von Artilleriebeschuss. Unbestätigten palästinensischen Medienberichten zufolge drangen daraufhin Panzer in die Stadt ein. Die US-Nachrichtenseite "Axios" zitierte israelische Beamte, es handele sich um den Auftakt der Bodenoffensive. Eine Bestätigung des Militärs dafür lag zunächst nicht vor.
Die israelische Nachrichtenseite "Walla" berichtete unter Berufung auf einen Mitarbeiter des Militärgeneralstabs, es habe "eine intensive Operation begonnen, die vielfältiges Feuer gegen zahlreiche Terrorziele umfasst". Dies sei "erst der Anfang". Nach israelischen Medienberichten waren die schweren Explosionen im Norden des Gazastreifens auch in Israel zu hören.
Kurz zuvor hatte US-Außenminister Marco Rubio Zweifel geäußert, ob der Gaza-Krieg auf diplomatischem Wege beendet werden kann. "Wenn es also nicht auf diese Weise endet, dann muss es durch einen militärischen Einsatz beendet werden", sagte er dem US-Sender Fox News bei seiner Reise in Israel laut Redemanuskript. Er glaube, dass Israel diesen Weg selbst nicht bevorzuge.
Angehörige der Geiseln: Es könnte ihre letzte Nacht sein
Das Forum der Angehörigen der von der islamistischen Terrororganisation Hamas festgehaltenen Geiseln äußerte große Besorgnis angesichts der Berichte über die in der Nacht begonnene Einnahme der Stadt Gaza. Nach 710 Nächten in der Gewalt von Terroristen "könnte heute Nacht die letzte Nacht für die Geiseln sein", hieß es in einer Erklärung des Angehörigenforums.
Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu entscheide sich bewusst dafür, "sie aus politischen Erwägungen zu opfern", hieß es. Er ignoriere dabei völlig die Einschätzungen des Generalstabschefs und der Sicherheitsbehörden, hieß es in der Mitteilung weiter. Netanjahus rechtsextreme Koalitionspartner, von denen sein politisches Überleben abhängt, sind gegen eine Waffenruhe.
Das israelische Sicherheitskabinett hatte im August die Einnahme der Stadt Gaza im Norden des von Israel abgeriegelten Küstenstreifens gebilligt. Das israelische Militär rief deshalb alle der schätzungsweise eine Million Bewohner der Stadt Gaza auf, in sogenannte humanitäre Zonen weiter südlich zu flüchten. In Erwartung des Vorstoßes in die Stadt flohen nach israelischen und palästinensischen Angaben bereits mehr als 300.000 Menschen aus Gaza.
Massive Vorwürfe gegen Israels Regierungschef
Israelische Medien berichteten unter Berufung auf palästinensische Kreise, die Hamas habe Geiseln aus unterirdischen Tunneln geholt und in Häuser und Zelte der Stadt gebracht, um die israelische Armee an Einsätzen in bestimmten Gebieten zu hindern. Die Mutter eines verschleppten Mannes sagte Medien zufolge, ihr Sohn werde in Gaza als menschlicher Schutzschild missbraucht.
Im Gazastreifen befinden sich noch 48 Geiseln, davon sind 20 nach israelischen Informationen noch am Leben. Viele von ihnen befänden sich jetzt in der Stadt Gaza, hieß es in der Erklärung des Forums der Angehörigen. Israels Ministerpräsident Netanjahu trage die persönliche Verantwortung für das Schicksal der Geiseln. "Das israelische Volk wird die Opferung der Geiseln und Soldaten nicht verzeihen", hieß es weiter.
Berichte über Panzer in der Stadt
Die israelische Armee hatte in den vergangenen Tagen ihre Luftangriffe in und um die Stadt herum schrittweise ausgeweitet und zuletzt begonnen, zahlreiche Hochhäuser in der Stadt zu zerstören. Sie wirft der Hamas vor, dort Beobachtungsposten eingerichtet und Sprengsätze platziert zu haben. Bodentruppen schickte die israelische Armee bislang nicht in die dicht besiedelte Stadt, in der sich vermutlich noch Hunderttausende Palästinenser aufhalten. In der Nacht zitierte die israelische Nachrichtenseite "ynet" palästinensische Berichte, wonach nun Panzer gesichtet worden seien.
US-Außenminister Rubio sagte dem Sender Fox News, der Krieg würde enden, wenn alle Geiseln ausgehändigt würden, die Hamas ihre Waffen niederlege und sich auflöse. "Im Idealfall, in einer perfekten Welt, würde man dies durch ein diplomatisches Abkommen erreichen." Dies sei jedoch nicht eingetreten.
Israel zunehmend in der Isolation
Israel gerät wegen der angekündigten Ausweitung des Gaza-Kriegs zunehmend in die internationale Isolation. Nach Israels Luftangriff vergangene Woche auf die Führungsspitze der Hamas in Katar forderten Vertreter aus rund 60 arabischen und weiteren islamischen Staaten bei einem Sondergipfel in Katar ein Waffenembargo gegen Israel. Nach Angaben der Hamas war die Attacke in der Hauptstadt Doha fehlgeschlagen, es sei kein Mitglied der Delegation für die indirekten Verhandlungen über eine Waffenruhe in Gaza getötet worden.
Aus Sicht Netanjahus ist der Angriff dagegen nicht fehlgeschlagen. Er habe vielmehr eine klare Botschaft vermittelt: "Ihr könnt euch verstecken, ihr könnt weglaufen, aber wir werden euch schnappen", sagte er mit Blick auf führende Mitglieder der Hamas. Netanjahu nannte die internationale Kritik an dem Angriff in Katar eine "Heuchelei". Jedes Land habe das Recht, sich auch jenseits seiner Grenzen gegen jene zu verteidigen, die seine Bürger töten wollten.
Der Gaza-Krieg begann mit dem Hamas-Terrorüberfall am 7. Oktober 2023, bei dem rund 1.200 Menschen in Israel getötet und mehr als 250 verschleppt wurden. Seither sind nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums mindestens 64.900 Palästinenser im Gazastreifen getötet worden, darunter zahlreiche Frauen und Kinder. Kritiker werfen Israel Kriegsverbrechen oder gar Völkermord vor. Israel betont dagegen, es bekämpfe ausschließlich die Hamas, die Zivilbevölkerung werde von der Terrororganisation als "menschliche Schutzschilde" missbraucht./ln/DP/zb