FRANKFURT (dpa-AFX) - Am Zertifikatemarkt ist die Euphorie der letzten Jahre etwas verflogen. Der Beginn der Leitzinssenkungen in der Eurozone im Juni 2024 bedeutete für die Emittenten solcher Wertpapiere eine kleinen Dämpfer, da die angebotenen, maßgeblich von der Zinsentwicklung abhängigen Produkte nun nicht mehr ganz so attraktive Konditionen bieten können.
Zertifikate als eine spezielle Art von sogenannten strukturierten Wertpapieren sind Produkte, die klassische Finanzinstrumente wie Aktien oder Anleihen mit Derivaten verknüpfen. Damit können riskante Wetten eingegangen oder vor allem spezifische Anlageziele wie Absicherung oder Überrendite erreicht werden. Derart gestaltete Anlageinstrumente ähneln Zinsprodukten und funktionieren deshalb umso besser, je höher der Marktzins ist.
Insofern konnte die Branche hierzulande mit dem Einläuten der Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB) nach oben im Jahr 2022 schwungvoll anziehen und Anfang 2024 ein Marktvolumen von gut 111 Milliarden Euro erreichen. Damit wurde das Niveau kurz vor dem Einbruch des Marktes im Zuge der Insolvenz von Lehman Brothers vor gut 17 Jahren erreicht.
Seinerzeit hatten Zertifikate-Anleger viel Geld verloren, weil die Papiere der US-Investmentbank erst einmal wertlos geworden waren. Hier kam zum Tragen, dass es sich bei Zertifikaten nicht wie bei Fonds um besicherte Sondervermögen, sondern um grundsätzlich ausfallbedrohte Schuldverschreibungen handelt.
Im Juni letzten Jahres aber hat die EZB damit begonnen, die Zinsen wieder zu senken, da sich die zwischenzeitlich in die Höhe geschnellte Inflation deutlich abgekühlt hat. In der Folge schmolz das Marktvolumen etwas auf aktuell gut 100 Milliarden Euro zusammen.
Der Experte Christian Koziol wollte diese Entwicklung aber nicht überbewerten: "Bei der Betrachtung des Marktvolumens darf man nicht aus den Augen verlieren, dass das aktuelle Level das Ergebnis eines erheblichen Anstiegs von mehr als 50 Prozent über die letzten drei Jahre ist", sagte der Inhaber des Lehrstuhls für Finance an der Universität Tübingen und Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Branchenverbandes BSW.
Diese Entwicklung sei durch den Übergang von der Negativzinsphase hin zu einem für Anleger attraktiven Zinsniveau unterstützt worden. Der im Vergleich dazu überschaubare, jüngste Rückgang des Marktvolumens könne dementsprechend auf den Zinsrückgang am kurzen Ende in den vergangenen Monaten zurückgeführt werden.
Derweil gehen Fachleute davon aus, dass die Europäische Zentralbank mit dem aktuellen Zinsniveau erst einmal zufrieden ist und keine weitere geldpolitische Lockerung ansteht. Denn der maßgebliche Einlagesatz, zu dem Banken bei der EZB kurzfristig überschüssige Gelder anlegen können, liegt aktuell bei 2 Prozent und damit auf Höhe der Inflationsrate in der Eurozone. Am Kapitalmarkt nun finde man derzeit gleichwohl risikofreie Zinssätze je nach Laufzeit zwischen 2 und 3,2 Prozent vor, fuhr Koziol fort. Dieses Zinsniveau stelle für viele Investoren nach wie vor eine attraktive Anlagemöglichkeit dar.
Im Bereich der strukturierten Wertpapiere sind dadurch Koziol zufolge Fest- und Stufenzinsanleihen, aber auch Express-Zertifikate besonders interessant. Fest- und Stufenzinsanleihen zeichnen sich - abgesehen von dem Emittentenrisiko - durch einen hundertprozentigen Kapitalschutz aus und sind deshalb für besonders sicherheitsorientierte Anleger geeignet. Express-Zertifikate hingegen versprechen keinen solchen Kapitalschutz, bieten aber die Chance auf eine Zinszahlung, selbst wenn zum Beispiel eine mit diesem Zertifikat verknüpfte Aktie nur seitwärts läuft.
Verbraucherschützer raten dennoch zur Vorsicht, wenn es um strukturierte Wertpapiere geht. "Zertifikate sind mit relativ hohen Nebenkosten verbunden", heißt es etwa beim Geld-Ratgeber Finanztip. Anleger müssten wissen, dass nicht alle Kosten offen aufgeführt würden. Auch Koziol mahnte: "Mit der von der Finanzaufsicht Bafin gemachten Beobachtung, dass die Produktkosten von Zertifikaten nicht immer einheitlich ausgewiesen werden, sollte sich die Branche auseinandersetzen."/la/niw/zb
--- Von Lutz Alexander, dpa-AFX ---