(durchgehend aktualisiert nach der Unterzeichnung und Erklärungen der Staats- und Regierungschefs in Ägypten)
SCHARM EL SCHEICH/JERUSALEM/GAZA (dpa-AFX) - Alle überlebenden Geiseln sind frei, die Waffenruhe hält, ein großer Friedensgipfel in Ägypten: Nach mehr als zwei Jahren Krieg mit Zehntausenden Toten und weitgehender Zerstörung hofft die Welt auf dauerhaften Frieden im Gazastreifen. Mit einer Zeremonie in Ägypten ist die Waffenruhe zwischen der islamistischen Hamas und Israel durch die Vermittlerstaaten formell besiegelt. Doch kritische Fragen zu dem Konflikt bleiben ungelöst.
Das Dokument, das die Staatschefs der USA, Katars, Ägyptens und der Türkei unterzeichneten, soll nach Worten von Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi die geltende Waffenruhe festigen. Das Papier lege "eine ganze Reihe von Regeln und Bestimmungen" fest und sei "sehr umfassend", sagte US-Präsident Donald Trump. Der genaue Inhalt wurde zunächst nicht bekannt.
Trump wurde kurz zuvor bei einer Rede im israelischen Parlament für seine Vermittlung zwischen Israelis und Palästinensern gefeiert. Allerdings gibt es Skepsis, ob sein 20-Punkte-Plan Bestand haben wird. Die Terrorgruppe Hamas kündigte bereits an, den Kampf gegen Israel fortzusetzen.
Mit der Freilassung der letzten 20 der ursprünglich 250 Geiseln erfüllte die Hamas fristgerecht einen der zentralen Punkte der Vereinbarungen aus der vergangenen Woche. Nach insgesamt 738 Tagen Gefangenschaft wurden sie am Vormittag in zwei Gruppen zunächst dem Roten Kreuz übergeben und dann nach Israel gebracht, wo sie sich jetzt in Krankenhäusern erholen. Darunter sind auch vier Israelis mit deutschem Pass.
Trump erklärt Krieg für beendet - Merz auch
Zudem wurden die sterblichen Überreste von vier weiteren Geiseln an das Rote Kreuz übergeben, die die Geiselhaft nicht überlebten. Allerdings hatte die Hamas eigentlich versprochen, alle 28 toten Geiseln zu überstellen. Im Gegenzug begann Israel damit, etwa 2.000 palästinensische Häftlinge freizulassen - darunter etwa 250 Palästinenser, die zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren. Der prominente palästinensische Politiker Marwan Barghuti - verurteilt wegen fünffachen Mordes - hingegen bleibt trotz vieler Bitten im Gefängnis.
Mit dem unter wesentlicher Beteiligung der Vereinigten Staaten zustande gekommenen Plan hält Trump den jüngsten Gaza-Krieg bereits für beendet - und sieht den Nahen Osten vor einer neuen Ära des Friedens. Dieser Tag markiere nicht nur das Ende eines Krieges, sondern auch "das Ende einer Zeit von Terror und Tod", sagte er vor dem Parlament in Jerusalem, der Knesset. Trump sprach vom Beginn einer "dauerhaften Harmonie" im Nahen Osten.
Bundeskanzler Friedrich Merz betonte ebenfalls: "Der Krieg in Gaza ist zu Ende." Es sei gelungen, "den Konflikt jedenfalls für heute zu beenden". Andere internationale Politiker äußerten sich bei aller Hoffnung deutlich zurückhaltender. Trump traf sich in Jerusalem kurz auch mit den Angehörigen von früher freigelassenen Geiseln. An die Palästinenser appellierte er: "Anstatt zu versuchen, Israel zu zerstören, ist es jetzt an der Zeit, sich auf den Aufbau des eigenen Volkes zu konzentrieren."
Gipfel in Ägypten
Um die laufende Waffenruhe zu festigen, fand am Nachmittag im ägyptischen Scharm el Scheich ein internationaler Gipfel statt. Dazu reisten rund 30 weitere Staats- und Regierungschefs an, auch Merz sowie etwa der britische Premier Keir Starmer, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Jordaniens König Abdullah II. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu blieb der Zeremonie trotz einer Einladung allerdings ebenso fern wie hochrangige Vertreter der Hamas. Auch Vertreter von Israels Erzfeind Iran, dessen Atomanlagen Israel und die USA im Juni bombardierten, reisten nicht an.
Die Einigung "öffnet das Tor zu einer neuen Ära für Frieden und Stabilität im Nahen Osten", sagte al-Sisi nach der Unterzeichnung. Er sei sicher, dass Trump die Einigung umsetzen könne. "Lassen Sie den Gaza-Krieg den letzten Krieg im Nahen Osten sein", sagte al-Sisi. Er bat Trump auch um Unterstützung bei einer geplanten Konferenz für den Wiederaufbau des Gazastreifens, die Ägypten gemeinsam mit Deutschland ausrichten will. Sie soll im November in Kairo stattfinden.
Auslöser des jüngsten Gaza-Kriegs war das schlimmste Massaker in Israels Geschichte durch Terroristen der Hamas sowie anderer extremistischer Palästinenserorganisationen. Am 7. Oktober 2023 wurden nahe der Grenze zum Gazastreifen auf israelischer Seite etwa 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 verschleppt. Israel reagierte mit massiven Angriffen aus der Luft und am Boden. Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden mehr als 67.000 Menschen getötet.
Trump lässt andere stundenlang warten
Weil Trumps Programm in Israel erheblich länger dauerte als geplant, mussten die anderen Staats- und Regierungschefs in Ägypten stundenlang warten. Die USA hatten die Einigung vermittelt - unterstützt von Katar, Ägypten und der Türkei. Auf Grundlage des 20-Punkte-Plans gilt in dem Küstenstreifen am Mittelmeer eine Waffenruhe.
In den nächsten Wochen und Monaten geht es nun darum, daraus einen echten Frieden zu machen. Nach all den Kriegen und Konflikten im Nahen Osten gibt es große Skepsis, ob das gelingt. Die zweite Phase der Verhandlungen - nach der Freilassung von Geiseln und Gefangenen und dem Teilrückzug von Israels Truppen in Gaza - habe bereits begonnen, sagte Trump in Ägypten.
Während der Wartezeit kam es auch zu einer größeren Runde mit Vertretern aus insgesamt 16 Ländern, bei der Merz dazu aufrief, das Momentum dieses historischen Tages für weitere Friedensbemühungen zu nutzen. "Die harte Arbeit wird erst morgen beginnen", wurde er aus deutschen Regierungskreisen zitiert. Er erinnerte daran, dass schon einmal ein Nahost-Friedensprozess gescheitert sei, für den vor 30 Jahren der damalige israelische Ministerpräsident Jitzhak Rabin, Außenminister Schimon Peres und der damalige Palästinenserführer Jassir Arafat den Friedensnobelpreis erhielten.
Ministerpräsident Netanjahu versprach in der Knesset, er strecke seine Hand zu all jenen aus, "die Frieden mit uns anstreben". Israel werde immer wachsam, aber gleichzeitig voller Hoffnung sein. "Es ist an der Zeit, diese Hoffnung umzusetzen und den Kreis des Friedens zu vergrößern." Die Hamas schrieb in einer Erklärung allerdings: "Das palästinensische Volk wird nicht ruhen, bis der letzte Gefangene aus den Gefängnissen der neuen Nazis befreit ist und die Besatzung von unserem Land und unseren heiligen Stätten entfernt ist."
Jubel auf dem "Platz der Geiseln"
Auf dem "Platz der Geiseln" im Zentrum der israelischen Küstenmetropole Tel Aviv wurde die Freilassung der Geiseln von Tausenden Menschen verfolgt. Dort brach großer Jubel aus. Im Gazastreifen kehrten Zehntausende Palästinenser in ihre alten Wohnorte zurück. Sie müssen sich in einer Trümmerlandschaft zurechtfinden, in der sie nur durch Hilfe von außen überleben können.
Nicht absehbar ist, ob das Abkommen zu einem längerfristigen Ende der Kämpfe im Gazastreifen führen wird. Drei der größten Streitpunkte bleiben die Entwaffnung der Hamas, die in Trumps Friedensplan vorgesehen ist, der komplette Abzug von Israels Armee aus dem Gebiet sowie die Zukunft des Gazastreifens. Die Hamas spricht Israel zudem weiterhin das Existenzrecht ab. Netanjahu und seine rechtsextremen Regierungspartner wollen die Hamas restlos zerschlagen./cs/ln/DP/he