
Volkswagen, Mercedes und Bosch zittern: Der niederländische Chiphersteller steht so gut wie still und mit ihm droht ein Großteil der europäischen Autoindustrie ins Stocken zu geraten. Was steckt hinter dem Streit?
Die Geschichte von Nexperia beginnt unspektakulär - und endet in einem geopolitischen Konflikt. 2017 spaltete der Elektronikkonzern NXP Semiconductors seine Sparte für sogenannte Standardbauelemente ab: Dioden, Transistoren und Logikchips, jene unscheinbaren, aber unverzichtbaren Bausteine jeder Elektronik. Daraus wurde Nexperia, ein Hersteller von Massenware, der mit mehr als 100 Milliarden Bauteilen pro Jahr praktisch alle europäischen Autozulieferer beliefert.
2018 übernahm der chinesische Mischkonzern Wingtech Technology das Unternehmen vollständig. Ein Schritt, der Nexperia in die globale Strategie Pekings zur technologischen Selbstversorgung einband. Seither gilt Nexperia als wichtiger Bestandteil der chinesischen Elektronikpolitik. Doch genau das machte den Konzern zunehmend zum sicherheitspolitischen Risiko für westliche Staaten.
Im September dieses Jahres zogen die Niederlande die Notbremse. Auf Druck der USA, die den Nexperia-Chef Zhang Xuezheng bereits auf eine Sanktionsliste gesetzt hatten, entzog Den Haag dem Management die Kontrolle über das Unternehmen und setzte einen staatlichen Verwalter ein. Begründung: nationale Sicherheitsinteressen. Washington hatte gewarnt, dass über Nexperia sensible Technologie in chinesische Hände gelangen könnte - eine Parallele zum Streit um den Telekom-Ausrüster Huawei.
Volksrepublik antwortet prompt
Peking reagierte schnell und scharf. Das chinesische Handelsministerium untersagte den Export bestimmter Produkte, die auf Nexperia-Halbleitern basieren. Laut Wingtech betrifft das rund 80 Prozent aller Endprodukte. Damit brach die Lieferkette für Europas Autobauer über Nacht zusammen. Seit dem 10. Oktober wissen die Kunden: Die Vorräte reichen nur noch für wenige Wochen.
Für die deutsche Industrie ist das eine Hiobsbotschaft. Zwar betont Volkswagen, die eigene Produktion laufe derzeit noch planmäßig. Doch im Intranet des Konzerns ist bereits von möglichen Einschränkungen die Rede. Laut einem Bericht der Bild-Zeitung führt der Autobauer sogar Gespräche mit der Bundesagentur für Arbeit über Kurzarbeit für mehrere Zehntausend Beschäftigte. Auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) schlägt Alarm. Präsidentin Hildegard Müller warnt vor "erheblichen Produktionseinschränkungen" bis hin zu kompletten Stillständen, sollte die Versorgung mit Nexperia-Chips nicht rasch wieder anlaufen.
Der Herstellerverband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI) arbeitet bereits an Ersatzlösungen. Doch die Qualifizierung neuer Bauteile dauert - und schnelle Alternativen gibt es kaum. "Ein Problem liegt in der notwendigen Qualifizierung der Ersatzbauteile - wir können also keine Entwarnung geben", sagt ZVEI-Chef Wolfgang Weber.
Dass ausgerechnet Nexperia zum Zankapfel zwischen China und Europa geworden ist, zeigt, wie verwundbar die Industrie geworden ist. Die Chips aus Nijmegen und Hamburg stecken in nahezu jedem Steuergerät - ohne sie kann kein Auto ausgeliefert, keine Maschine gefertigt werden. Es geht nicht um High-End-Technologie wie bei TSMC oder Infineon, sondern um einfache, aber systemrelevante Komponenten, die schlicht fehlen, wenn sie ausbleiben.
Fazit: Zu kurzfristig gedacht!
Nexperia steht sinnbildlich für Europas Abhängigkeit von globalen Lieferketten - und für den wachsenden Druck, geopolitische Risiken in der Industriepolitik mitzudenken. Jede Verzögerung, jeder diplomatische Fehltritt kann Produktionsbänder zum Stillstand bringen. Eine schnelle politische Lösung ist daher unabdingbar. Sonst droht der Stillstand nicht nur bei Volkswagen, sondern in der gesamten europäischen Industrie.
Bei der Übernahme haben die USA und die Niederlanden einen entscheidenen Faktor übersehen. Das Know-how, welches nach China abwandern könnte, liegt zwar noch in den Niederlanden, aber die Endfertigung der Produkte befindet sich China und wird von da aus in die Welt exportiert. Schiebt Peking einen Riegel vor die Auslieferung, was jetzt der Fall ist, dann sitzen die Autobauer außerhalb der Volksrepublik schneller auf dem trockenen, als ihnen lieb ist.
Warnungen, die vor Wochen nur müde belächelt wurden, könnten jetzt zur ernsthaften Bedrohung für die europäische Automobilndustrie werden. Wie die Automobilwoche berichtet, soll die Golf-Produktion bereits ab Freitag in Wolfsburg wegen fehlender Teile von Nexperia stoppen. Sollte es tatsächlich soweit kommen und noch weitere Autobauer betreffen kommen, dann wird das nicht spurlos an den eh schon arg gebeutelten Aktien vorbeigehen.
Markus Weingran, Chefredakteur wallstreetONLINE Börsenlounge
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