Berlin (ots) -
Rechtsstaat und Zivilgesellschaft stehen in Deutschland aktuell unter zunehmendem Druck - und damit auch die Menschenrechte und die Demokratie. Das ist das Fazit des zehnten Berichts an den Bundestag über die Entwicklung der Menschenrechtssituation, den das Deutsche Institut für Menschenrechte heute in Berlin vorgestellt hat.
Neben der Gefährdung von Rechtsstaat und Zivilgesellschaft enthält der Bericht Empfehlungen zu vier weiteren menschenrechtspolitischen Themen:
- politische Partizipation von Kindern und Jugendlichen,
- Lücken im Schutz vor Femiziden,
- Rechte der Betroffenen von Menschenhandel,
- Rüstungsexporte und Zugang zu effektivem Rechtsschutz.
"Wir beobachten eine schleichende, gefährliche Verschiebung: Menschenrechte werden zunehmend als lästig behandelt, inhaltlich abgelehnt oder gar als Ideologie verunglimpft. Menschen werden ihre Würde und ihre Rechte abgesprochen. Doch: Die Menschenrechte sind das Fundament der Demokratie", sagte Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte bei der Vorstellung des Berichts. "Unsere demokratischen Institutionen geraten nicht über Nacht ins Wanken: Es beginnt damit, dass rechtliche Standards ausgehöhlt, Menschen und deren Rechte abgewertet, Institutionen des demokratischen Rechtsstaats infrage gestellt und Misstrauen gegenüber der Zivilgesellschaft geschürt werden."
Der Bericht dokumentiert politische Aussagen, die die Autorität wichtiger rechtsstaatlicher Institutionen schwächen. Dazu zählt beispielsweise die abwehrende und abwertende Reaktion des Bundesinnenministers auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin zu den Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den deutschen Grenzen. Das Institut kritisiert auch parlamentarische Anfragen im Bundestag und in den Ländern, die Nichtregierungsorganisationen diskreditieren und verunsichern. "Es widerspricht dem Grundgesetz, wenn das Neutralitätsgebot, das den Staat in Schranken weist, umgedeutet und gegen bürgerschaftlich Engagierte missbraucht wird. Es ist demokratisch notwendig, dass Bund und Länder zivilgesellschaftliche Organisationen schützen und stärken, auch finanziell", sagte Rudolf.
Die Vielzahl von Strafverfahren zu Klimaprotesten sowie die Grundrechtseingriffe bei Palästina-solidarischen Demonstrationen werfen Fragen der Verhältnismäßigkeit auf. "Der UN-Menschenrechtsausschuss hat klargestellt: Sitzblockaden sind ein legitimes Mittel des Protestes. Der Menschenrechtskommissar des Europarats hat das Vorgehen der deutschen Behörden bei den Palästina-solidarischen Demonstrationen scharf kritisiert. Wir empfehlen daher unabhängige Untersuchungen bei Verdacht auf exzessive Polizeigewalt", sagte Rudolf. Positiv bewertet das Institut, dass die Bundesregierung die EU-Richtlinie gegen Einschüchterungsklagen gegen Medienschaffende oder Aktivist*innen auch auf innerstaatliche Klagen anwenden will. Es empfiehlt, zudem gesetzlich Schutz vorzusehen, wenn auch Strafanzeigen zum Zweck der Einschüchterung missbräuchlich erstattet werden.
Der Berichtsschwerpunkt zu Kindern und Jugendlichen beschreibt, auf welche Schwierigkeiten sie bei ihrer politischen Teilhabe stoßen, und benennt Maßnahmen, um ihre Partizipation zu stärken. Dazu gehören die finanzielle Förderung von Selbstorganisationen junger Menschen, ein besserer Schutz vor Hass und Gewalt sowie praktische Unterstützung, beispielsweise durch Räumlichkeiten und kostenlose Bus- und Bahn-Tickets. "Viele politische Entscheidungen betreffen junge Menschen unmittelbar - etwa die Musterung zum Wehrdienst oder Social-Media-Verbote. Wählen dürfen sie aber auf Bundesebene nicht. Umso wichtiger ist, dass Kinder und Jugendliche wenigstens Gehör finden. Wenn Bund und Länder die Selbstorganisation von Kindern und Jugendlichen konsequent und konkret unterstützen, stärken sie die demokratische Kultur nachhaltig", betonte Rudolf.
Der Bericht zeigt auch erhebliche Rechtsschutzlücken beim Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt, im Kampf gegen Menschenhandel und Arbeitsausbeutung sowie bei den Folgen von Rüstungsexporten aus Deutschland.
Trotz wichtiger Fortschritte in der Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt beispielsweise durch das neue Gewalthilfegesetz sieht das Institut weiterhin Handlungsbedarf beim Schutz vor Femiziden. Bund und Länder können ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention nur erfüllen, wenn sie die Datenlage verbessern. Auf dieser Grundlage wiederum müssen Prävention, Schutzstrukturen, Täterarbeit und Fortbildungen für Polizei und Justiz systematisch ausgebaut und ausreichend finanziert werden.
Defizite stellt das Institut außerdem beim Kampf gegen Menschenhandel in Deutschland fest. Es fehlen spezialisierte Unterkünfte, klare Identifizierungsmechanismen sowie eine einheitliche Koordinierung auf Bundes- und Landesebene, um Betroffene zu unterstützen. Auch muss zügig ein Nationaler Verweisungsmechanismus entwickelt und aufgebaut werden, damit Betroffene bundesweit gleichwertig und zeitgerecht Zugang zu Schutz und Unterstützung erhalten.
Das Institut analysiert auch die Auswirkungen von Rüstungsexporten aus Deutschland. Dabei liegt der Fokus auf dem Zugang zum Recht: Menschen, deren Leib und Leben durch deutsche Waffenexporte bedroht sind, haben kaum Chancen, die Genehmigungspraxis der Bundesregierung in Deutschland gerichtlich überprüfen zu lassen. Vor dem Hintergrund der Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof sowie der Ablehnung von Eilanträgen durch Verwaltungsgerichte empfiehlt das Institut ein Rüstungsexportkontrollgesetz, das Beteiligungsrechte Betroffener sowie Verbandsklagen festschreibt. Der Bundestag ist demnach gefordert, den gesetzlichen Rahmen zu überprüfen und menschenrechtlich zu stärken, damit Deutschland seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen gerecht wird.
Hintergrund:
Das Deutsche Institut für Menschenrechte legt gemäß dem Gesetz über seine Rechtsstellung und Aufgaben (DIMRG) seit 2016 jährlich dem Bundestag einen Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland vor.
Der zehnte Bericht erfasst den Zeitraum vom 1. Juli 2024 bis zum 30. Juni 2025. Er wurde mit Blick auf den Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember heute veröffentlicht und steht als Langfassung sowie als Kurzfassung in deutscher und englischer Sprache zur Verfügung:
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsbericht-2025
Pressekontakt:
Kristal Davidson, Pressesprecherin
Telefon: +49 30 259 359 14
Mobil: +49 160 966 500 83
E-Mail: KDavidson@institut-fuer-menschenrechte.de
www.institut-fuer-menschenrechte.de
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Original-Content von: Deutsches Institut für Menschenrechte, übermittelt durch news aktuell
Originalmeldung: https://www.presseportal.de/pm/51271/6174414
Rechtsstaat und Zivilgesellschaft stehen in Deutschland aktuell unter zunehmendem Druck - und damit auch die Menschenrechte und die Demokratie. Das ist das Fazit des zehnten Berichts an den Bundestag über die Entwicklung der Menschenrechtssituation, den das Deutsche Institut für Menschenrechte heute in Berlin vorgestellt hat.
Neben der Gefährdung von Rechtsstaat und Zivilgesellschaft enthält der Bericht Empfehlungen zu vier weiteren menschenrechtspolitischen Themen:
- politische Partizipation von Kindern und Jugendlichen,
- Lücken im Schutz vor Femiziden,
- Rechte der Betroffenen von Menschenhandel,
- Rüstungsexporte und Zugang zu effektivem Rechtsschutz.
"Wir beobachten eine schleichende, gefährliche Verschiebung: Menschenrechte werden zunehmend als lästig behandelt, inhaltlich abgelehnt oder gar als Ideologie verunglimpft. Menschen werden ihre Würde und ihre Rechte abgesprochen. Doch: Die Menschenrechte sind das Fundament der Demokratie", sagte Beate Rudolf, Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte bei der Vorstellung des Berichts. "Unsere demokratischen Institutionen geraten nicht über Nacht ins Wanken: Es beginnt damit, dass rechtliche Standards ausgehöhlt, Menschen und deren Rechte abgewertet, Institutionen des demokratischen Rechtsstaats infrage gestellt und Misstrauen gegenüber der Zivilgesellschaft geschürt werden."
Der Bericht dokumentiert politische Aussagen, die die Autorität wichtiger rechtsstaatlicher Institutionen schwächen. Dazu zählt beispielsweise die abwehrende und abwertende Reaktion des Bundesinnenministers auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin zu den Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den deutschen Grenzen. Das Institut kritisiert auch parlamentarische Anfragen im Bundestag und in den Ländern, die Nichtregierungsorganisationen diskreditieren und verunsichern. "Es widerspricht dem Grundgesetz, wenn das Neutralitätsgebot, das den Staat in Schranken weist, umgedeutet und gegen bürgerschaftlich Engagierte missbraucht wird. Es ist demokratisch notwendig, dass Bund und Länder zivilgesellschaftliche Organisationen schützen und stärken, auch finanziell", sagte Rudolf.
Die Vielzahl von Strafverfahren zu Klimaprotesten sowie die Grundrechtseingriffe bei Palästina-solidarischen Demonstrationen werfen Fragen der Verhältnismäßigkeit auf. "Der UN-Menschenrechtsausschuss hat klargestellt: Sitzblockaden sind ein legitimes Mittel des Protestes. Der Menschenrechtskommissar des Europarats hat das Vorgehen der deutschen Behörden bei den Palästina-solidarischen Demonstrationen scharf kritisiert. Wir empfehlen daher unabhängige Untersuchungen bei Verdacht auf exzessive Polizeigewalt", sagte Rudolf. Positiv bewertet das Institut, dass die Bundesregierung die EU-Richtlinie gegen Einschüchterungsklagen gegen Medienschaffende oder Aktivist*innen auch auf innerstaatliche Klagen anwenden will. Es empfiehlt, zudem gesetzlich Schutz vorzusehen, wenn auch Strafanzeigen zum Zweck der Einschüchterung missbräuchlich erstattet werden.
Der Berichtsschwerpunkt zu Kindern und Jugendlichen beschreibt, auf welche Schwierigkeiten sie bei ihrer politischen Teilhabe stoßen, und benennt Maßnahmen, um ihre Partizipation zu stärken. Dazu gehören die finanzielle Förderung von Selbstorganisationen junger Menschen, ein besserer Schutz vor Hass und Gewalt sowie praktische Unterstützung, beispielsweise durch Räumlichkeiten und kostenlose Bus- und Bahn-Tickets. "Viele politische Entscheidungen betreffen junge Menschen unmittelbar - etwa die Musterung zum Wehrdienst oder Social-Media-Verbote. Wählen dürfen sie aber auf Bundesebene nicht. Umso wichtiger ist, dass Kinder und Jugendliche wenigstens Gehör finden. Wenn Bund und Länder die Selbstorganisation von Kindern und Jugendlichen konsequent und konkret unterstützen, stärken sie die demokratische Kultur nachhaltig", betonte Rudolf.
Der Bericht zeigt auch erhebliche Rechtsschutzlücken beim Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt, im Kampf gegen Menschenhandel und Arbeitsausbeutung sowie bei den Folgen von Rüstungsexporten aus Deutschland.
Trotz wichtiger Fortschritte in der Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt beispielsweise durch das neue Gewalthilfegesetz sieht das Institut weiterhin Handlungsbedarf beim Schutz vor Femiziden. Bund und Länder können ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen aus der Istanbul-Konvention nur erfüllen, wenn sie die Datenlage verbessern. Auf dieser Grundlage wiederum müssen Prävention, Schutzstrukturen, Täterarbeit und Fortbildungen für Polizei und Justiz systematisch ausgebaut und ausreichend finanziert werden.
Defizite stellt das Institut außerdem beim Kampf gegen Menschenhandel in Deutschland fest. Es fehlen spezialisierte Unterkünfte, klare Identifizierungsmechanismen sowie eine einheitliche Koordinierung auf Bundes- und Landesebene, um Betroffene zu unterstützen. Auch muss zügig ein Nationaler Verweisungsmechanismus entwickelt und aufgebaut werden, damit Betroffene bundesweit gleichwertig und zeitgerecht Zugang zu Schutz und Unterstützung erhalten.
Das Institut analysiert auch die Auswirkungen von Rüstungsexporten aus Deutschland. Dabei liegt der Fokus auf dem Zugang zum Recht: Menschen, deren Leib und Leben durch deutsche Waffenexporte bedroht sind, haben kaum Chancen, die Genehmigungspraxis der Bundesregierung in Deutschland gerichtlich überprüfen zu lassen. Vor dem Hintergrund der Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof sowie der Ablehnung von Eilanträgen durch Verwaltungsgerichte empfiehlt das Institut ein Rüstungsexportkontrollgesetz, das Beteiligungsrechte Betroffener sowie Verbandsklagen festschreibt. Der Bundestag ist demnach gefordert, den gesetzlichen Rahmen zu überprüfen und menschenrechtlich zu stärken, damit Deutschland seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen gerecht wird.
Hintergrund:
Das Deutsche Institut für Menschenrechte legt gemäß dem Gesetz über seine Rechtsstellung und Aufgaben (DIMRG) seit 2016 jährlich dem Bundestag einen Bericht über die Entwicklung der Menschenrechtssituation in Deutschland vor.
Der zehnte Bericht erfasst den Zeitraum vom 1. Juli 2024 bis zum 30. Juni 2025. Er wurde mit Blick auf den Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember heute veröffentlicht und steht als Langfassung sowie als Kurzfassung in deutscher und englischer Sprache zur Verfügung:
https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/menschenrechtsbericht-2025
Pressekontakt:
Kristal Davidson, Pressesprecherin
Telefon: +49 30 259 359 14
Mobil: +49 160 966 500 83
E-Mail: KDavidson@institut-fuer-menschenrechte.de
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