04.03.2022 -
Gesamtwirtschaftliches Umfeld
Ohne den Russland-Ukraine-Krieg würden die Konjunkturampeln in Europa auf Grün stehen. Mit dem Abklingen der Pandemie sollte eine kräftige Nachholkonjunktur einsetzen. Nun kehrt allerorts zunächst wieder Vorsicht ein. Gleichzeitig steigen die Inflationsraten weiter, da der Krieg die Roh- stoff- und Energiepreise in die Höhe treibt. In den USA ist die Inflationsrate auf 7,5 % gestiegen. In der Eurozone ging es im Februar von 5,1 % auf 5,8 % hoch und selbst in Deutschland, wo eigentlich für den Jahresbeginn eine deutliche Entspannung erwartet wurde, ist die Inflation wieder auf 5,5 % gestiegen. Damit geraten die Notenbanken in eine regelrechte Zwickmühle: Die Inflation erfordert ein entschlossenes Vorgehen und eine straffere Geldpolitik, doch der Zeitpunkt ist nicht günstig mit Blick auf die Verunsicherung, die aufgrund des Krieges um sich greift. Als erste der drei großen Zentralbanken tagt kommende Woche Donnerstag (10. März) die Europäische Zentralbank. Alle Augen werden erneut auf Christine Lagarde gerichtet sein. Konkretisiert sie die vagen Signale einer möglicherweise früheren Straffung, die sie auf der Februar-Pressekonferenz von sich gab? Oder rudert sie zurück und betont die konjunkturellen Risiken, die die Russland-Ukraine-Krise mit sich bringt? Wahrscheinlich wird sich Lagarde auf keinen klaren Kurs festlegen und die EZB weiter "auf Sicht" fahren lassen.
Kurzfristig
Für die Märkte ist der Krieg in der Ukraine aktuell der alles überragende Faktor. Die Währungen reagieren mit schnellen Bewegungen auf die neuesten Schlagzeilen. Andere Themen wie Zinsen, Inflation oder die Pandemie sind in den Hintergrund gerückt. Weil die negativen Auswirkungen des Krieges auf die Eurozone deutlich größer sind als auf die USA, sinkt der Wechselkurs EUR/USD seit Beginn der Invasion unaufhörlich (Abb. 3). Im gleichen Zug steigt die implizite Volatilität stark an (Abb. 4). Das absolute Level der impliziten Volatilitäten in EUR/USD für Optionen mit einem Monat Laufzeit hat sich von 5,5 auf 9 Prozentpunkte erhöht. Außerdem werden EUR-Puts vermehrt nachgefragt, weil der Markt mit einer weiteren Abwertung der Gemeinschaftswährung rechnet.
Die charttechnische Perspektive ist in der aktuellen Phase, die durch die Nachrichten-Headlines dominiert wird, weniger aussagekräftig. Nach Durchbrechen der Unterseite des alten Trendkanals (1,1180 bis 1,1500) ist aus technischer Sicht EUR/USD weiter ein Short. Erste Widerstände sind die psychologisch wichtige Marke von 1,10 und die 1,08. EUR/USD handelt aktuell auf den Jahrestiefs nahe 1,10.
Der Rubel wurde durch die Sanktionen stark getroffen und hat seit Kriegsausbruch über 30 % an Wert verloren. Insbesondere der Ausschluss einiger wichtiger russischer Banken vom SWIFT-System und das Einfrieren von Assets der russischen Zentralbank zeigen große Wirkung.
Mittelfristig
Die Auswirkungen des Krieges dürften das Wachstum vor- erst schwächen und die Inflation in der Eurozone noch et- was höher treiben. Die EZB befindet sich in einer diffizilen Lage und muss sich entscheiden, ob sie bei rückläufigem Wachstum die Zinsen erhöht oder die Inflation "laufen" lässt. Beide Szenarien sprechen aktuell nicht für eine Euro- Stärke. Bisher preist der Markt eine Zinsanhebung seitens der EZB für Ende 2022 wieder aus. Auf Seiten der USA, hatte der Fed-Funds-Futures-Markt nach den hohen Inflationszahlen bis Ende 2022 rund 6,5 Erhöhungen um 25 Basispunkte eingepreist. Diese Zahl ist nun ebenfalls gesunken, auf 4,5 Zinsschritte. Die divergierenden Zinsaussichten zwischen der Eurozone und den USA sollte den US-Dollar weiterhin stärken. Eine Handelsspanne von 1,08 bis 1,12 ist für die kommenden Monate realistisch, sofern sich der Krieg nicht auf die NATO-Staaten ausweitet.
Langfristig
Aus konjunktureller Sicht standen die Zeichen auf Eurokurs- Erholung. Der Krieg schlägt nun auf die Stimmung der Verbraucher und Unternehmen und wird den Wiederaufschwung in der Eurozone zumindest hinauszögern. Hinzu kommt, dass sich der längerfristige Ausblick aufgrund der räumlichen Nähe zu Russland eintrüben könnte. Die Friedensdividende, die sich aus der Ost-West-Entspannung er- geben hatte, ist nun wohl aufgebraucht. Darunter könnte der Euro stärker leiden als die geographisch weiter entfernten Länder und deren Währungen (US-Dollar/Yen). Der Weg nach oben dürfte für den Euro deshalb auch längerfristig beschwerlicher werden als es ohne den Russland-Ukraine- Krieg der Fall gewesen wäre.
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