21.07.2022 -
EinschätzungDie EZB hat heute deutlich gemacht, das Inflationsproblem ernst zu nehmen und mit einer unerwartet deutlichen Rücknahme des Expansionsgrads zu reagieren. Der Zinsschritt um 50 Bp ist zu begrüssen. Präsidentin Christine Lagarde begründete ihn mit gestiegenen Inflationsrisiken infolge eines an Breite gewinnenden Preisdrucks, eines zunehmenden Lohndrucks, anhaltenden Engpässen bei zahlreichen Gütern sowie der Abwertung des Euro. Allerdings kommt diese Einsicht reichlich spät. Angesichts der sich immer stärker eintrübenden Konjunkturaussichten ist nämlich fraglich, wie weit die Notenbank die Zinsen überhaupt noch nach oben schleusen kann und will. Wir gehen aktuell davon aus, dass im 2. Halbjahr 2022 ein scharfer Konjunkturabschwung ansteht und die Wirtschaftsleistung über mehrere Quartale hinweg nur stagniert. Dabei schwebt nach wie vor das Damoklesschwert eines Lieferstopps russischen Gases über unserer Prognose. Dreht der Kreml den Gashahn in den kommenden Monaten zu, wird die Eurozone in eine Rezession stürzen. So oder so wird die EZB ihre im Juni veröffentlichten BIP-Prognose für 2023 spürbar nach unten anpassen müssen.
Gleichzeitig gibt es in Sachen Preisauftrieb noch keine Entwarnung. Infolge der zuletzt immer massiveren staatlichen Eingriffe deutet sich bei der Teuerungsrate zwar eine Plateaubildung an, der Rückgang der Inflationsrate ab Oktober wird aber nur sehr zäh verlaufen, sodass die Inflation unserer Einschätzung nach selbst 2024 noch erkennbar über dem Zielwert der Notenbank liegen wird - trotz des erwarteten Konjunkturabschwungs (vgl. Tabelle unten). Die EZB muss ihre Inflationsprognosen im September daher erneut kräftig nach oben revidieren. Ungeachtet dieser ungünstigen Inflationsaussichten halten wir es für wenig wahrscheinlich, dass die EZB die Leitzinsen in einem derart schwachen Wirtschaftsumfeld, das dazu noch mit erheblichen Abwärtsrisiken behaftet ist, in den restriktiven Bereich anhebt. Aus diesem Grund erwarten wir, dass nach drei weiteren Zinsanhebungen um in Summe 100 Bp Schluss ist (50 Bp im September, je 25 Bp im Oktober und Dezember). Der Einlagensatz läge Ende dieses Jahres somit bei 1,00%.
Mit Hilfe des TPI soll nicht gerechtfertigten und ungeordneten Marktbewegungen entgegengetreten werden, welche die geldpolitische Transmission in einem Mitgliedsland bzw. der Eurozone gefährden. Anhand welcher Indikatoren und Parameter die Währungshüter entscheiden, ob ungerechtfertigte und ungeordnete Marktbewegungen vorliegen, wird nicht bekannt gegeben. Die Aktivierung des TPI für ein Euroland ist daran geknüpft, dass es vom EZB-Rat als für das TPI qualifiziert eingestuft wird. Voraussetzung für die Qualifikation sind eine solide Haushaltsführung, das Nichtvorhandensein ernsthafter wirtschaftlicher Ungleichgewichte, die Tragfähigkeit der Staatsschulden sowie eine vernünftige und nachhaltige Wirtschaftspolitik. Der EZB-Rat orientiert sich bei der Beurteilung unter anderem an der Einschätzung der EU-Kommission, des IWF und des ESM, wird seine Entscheidung aber eigenständig fällen. Laut Lagarde erfüllen derzeit alle Euroländer die Bedingungen für den Einsatz des TPI.
Fazit:Die EZB ist als eine der letzten Notenbanken ernsthaft in die Inflationsbekämpfung eingestiegen. Die entgegen allen Ankündigungen vorgenommene Anhebung der Leitzinsen um 50 Bp ist zu begrüssen, zugleich aber auch das Eingeständnis einer gescheiterten Forward Guidance. Immerhin verzichtet die Notenbank nun auf Vorfestlegungen. Weitere Zinsschritte sollen ausschliesslich datenabhängig vorgenommen werden und es soll von Sitzung zu Sitzung entschieden werden. Mit dem TPI hat die EZB ein neues Instrument, um unerwünschte Spreadanstieg zu verhindern. Die Auflagen für das Programm sind unserer Einschätzung nach relativ lax. Der Interpretationsspielraum ist zugleich gross, sodass die Notenbank das Instrument prinzipiell jederzeit einsetzen kann, sollte sie mit den PEPP-Reinvestitionen ihr Ziel nicht erreichen. Im Unklaren bleibt allerdings der Entscheidungsprozess zur Aktivierung des TPI. Wie lang ist beispielsweise die Reaktionszeit, um auf Marktverwerfungen zu reagieren? Muss eine Entscheidung zur Aktivierung des TPI im EZB-Rat einstimmig getroffen werden oder genügt eine einfache Mehrheit der stimmberechtigten Ratsmitglieder?
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