01.07.2025 -
In der aktuellen Ausgabe beschäftigt sich Dr. Felix Schmidt mit dem Beschluss der NATO-Staaten, ab spätestens 2035 auf fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung und Sicherheit auszugeben.
Fünf Prozent für die Verteidigung: Europas Milliarden für die Sicherheit
Auf ihrem Gipfel in Den Haag haben die NATO-Staaten beschlossen, ab spätestens 2035 jährlich fünf Prozent ihrer Wirtschaftsleistung für Verteidigung und Sicherheit auszugeben. Dies ist ein deutlicher Anstieg gegenüber dem bisherigen Zwei-Prozent-Ziel. Die Umsetzung dieses Ziels wird in den Mitgliedsstaaten voraussichtlich unterschiedlich schnell erfolgen. Die Europäische Union (EU) unternimmt derweil einiges, um auch den hochverschuldeten Mitgliedstaaten den Ausbau ihrer Verteidigungskapazitäten zu ermöglichen. Europas Sicherheitswende ist eingeleitet. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob es gelingen wird, nicht nur die Sicherheit nachhaltig zu stärken, sondern auch Impulse für technologische Innovationen und die wirtschaftliche Entwicklung zu liefern.
Bei ihrem Gipfeltreffen in Den Haag verpflichteten sich die NATO-Mitgliedstaaten, spätestens ab 2035 jährlich fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Verteidigung und Sicherheit zu investieren. Angesichts des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine wurde das alte Zwei-Prozent-Ziel somit mehr als verdoppelt. Konkret sieht die neue NATO-Vereinbarung zu den Verteidigungsausgaben vor, dass jeder Mitgliedsstaat seine Verteidigungsausgaben innerhalb der nächsten zehn Jahre auf 3,5 Prozent anheben muss. Hinzu kommen 1,5 Prozent für verteidigungs- und sicherheitsrelevante Bereiche wie den Schutz kritischer Infrastruktur oder die Cybersicherheit. Ob und wie schnell sich die einzelnen Mitgliedstaaten auf den Weg machen werden, diese Vorgaben auch wirklich einzuhalten, wird sehr unterschiedlich sein. In Europa sehen vor allem viele der im Nordosten gelegenen Mitgliedstaaten angesichts der russischen Bedrohungslage die Notwendigkeit, zeitnah und umfangreich in die Verteidigung zu investieren. Außerdem verfügen diese Länder über den finanzpolitischen Spielraum, um ihre Ziele zu verwirklichen. Im Gegensatz dazu scheint es für die meisten Staaten in Südwesteuropa weniger dringlich zu sein, die Verteidigungsausgaben zu erhöhen; zudem ist die Haushaltslage deutlich angespannter. Spanien beispielsweise zählt mit Verteidigungsausgaben in Höhe von 1,3 Prozent des BIP aktuell zu den Schlusslichtern und hat sich auf dem NATO-Gipfel als einziges Mitgliedsland geweigert, das neue NATO-Ausgabenziel von fünf Prozent des BIP mitzutragen.
Das derzeit ehrgeizigste Aufrüstungsprogramm verfolgt Deutschland. Wie dem neuen Haushaltsentwurf der Bundesregierung zu entnehmen ist, sollen die Verteidigungsausgaben von aktuell rund zwei Prozent des BIP bis 2029 auf 3,5 Prozent steigen. Damit würde das NATO-Ziel sechs Jahre früher als vorgesehen erreicht. Der Rüstungsetat soll von den für dieses Jahr geplanten 62,4 Milliarden Euro auf 152,8 Milliarden Euro im Jahr 2029 steigen. Diese massive Steigerung der Ausgaben wird durch die im März dieses Jahres beschlossene Lockerung der Schuldenbremse ermöglicht. Seitdem sind Verteidigungsausgaben von über ein Prozent der Wirtschaftsleistung von der Schuldenbremse ausgenommen. In anderen NATO-Mitgliedsstaaten ist der Zeitplan, um die neuen Bündnisvorgaben zu erfüllen, deutlich unklarer. Viele Länder werden sich voraussichtlich bis 2035 Zeit lassen, um die Vorgaben zu erfüllen - einige werden sie wohl nie erreichen, so wie es auch beim alten Zwei-Prozent-Ziel der Fall war. Inwieweit und wie schnell die Militärausgaben in Europa in den nächsten Jahren steigen werden, hängt auch von Entscheidungen im Weißen Haus und im Kreml ab. Je weniger man sich auf das Schutzversprechen der USA verlassen kann und je größer die Bedrohungslage durch Russland scheint, desto größer wird der Druck in Europa sein, die Militärausgaben deutlich zu erhöhen. Die Spielräume, höhere Rüstungsausgaben durch die Aufnahme neuer Schulden zu decken, sind jedoch sehr unterschiedlich. So steht die Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP in Griechenland, einem NATO-Mitglied, bereits jetzt bei etwa 150 Prozent, in Estland liegt sie dagegen nur knapp über 20 Prozent. Deutschland liegt mit einer Schuldenquote von knapp über 60 Prozent deutlich unter dem Durchschnitt der EU von 80 Prozent.EU will Finanzierungsbedingungen für höher verschuldete Staaten verbessern Die EU unternimmt derzeit große Anstrengungen, um die Finanzierungsbedingungen für Verteidigungsausgaben auch für höher verschuldete Mitgliedstaaten zu verbessern. Dazu zählen ein neues Darlehensinstrument (SAFE) in Höhe von 150 Milliarden Euro für gemeinsame Beschaffungen, die mögliche Nutzung von Mitteln aus dem Kohäsionsfonds für Verteidigungsausgaben sowie die Ausweitung der Finanzierung der Europäischen Investitionsbank (EIB) im Bereich Verteidigung und Sicherheit. Die Europäische Kommission hat darüber hinaus nationale Ausweichklauseln eingeführt. Diese erlauben es den Mitgliedstaaten, ihre Verteidigungsausgaben bis zu vier Jahre lang jährlich um bis zu 1,5 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, ohne Sanktionen wegen übermäßiger Haushaltsdefizite befürchten zu müssen. Um die Mittel so effizient wie möglich auszugeben, ist eine Koordination der Beschaffungsmaßnahmen notwendig. So können durch größere Bestellungen bessere Preise erzielt und verhindert werden, dass die Einrichtungen sich gegenseitig Konkurrenz machen. Das primäre Ziel der erhöhten Militärausgaben ist es, die Sicherheit zu erhöhen. Doch auch die Wirtschaft wird von den Mehrausgaben profitieren. Wie stark dieser Effekt ausfällt, hängt unter anderem davon ab, wie viel Ausrüstung in Europa und wie viel außerhalb eingekauft wird. In den kommenden Jahren werden die europäischen Kapazitäten voraussichtlich nicht ausreichen, um die stark steigende Nachfrage zu decken. Viel Geld wird daher auch weiterhin in andere Länder wie die USA fließen. Mittelfristig strebt die EU jedoch an, einen deutlich größeren Teil der benötigten Ausrüstung in Europa zu produzieren. Hierzu werden auch deutliche Kraftanstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung nötig sein. Langfristig besteht die Möglichkeit, dass es zu sogenannten Spillover-Effekten auf den privaten Sektor kommt. Das bedeutet, dass ursprünglich für das Militär entwickelte Technologien auch in zivilen Bereichen Anwendung finden und die Produktivität steigern. In der Vergangenheit zählten hierzu beispielsweise das Internet, GPS und die Mikrowelle. Europas Sicherheitswende ist eingeleitet. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob es gelingen wird, nicht nur die Sicherheit nachhaltig zu stärken, sondern auch Impulse für technologische Innovationen und die wirtschaftliche Entwicklung zu liefern.