
21.05.2025 -
Die Märkte notieren wieder so hoch wie vor dem 2. April. Volkswirte hielten eine Rezession für ausgemacht, aber jetzt sind sie sich nicht mehr so sicher. Die Anlegerstimmung - oder zumindest die Marktdynamik - war zuletzt sehr gut. Aber niemand weiß wirklich, wie sich der Konjunkturausblick verändert hat. Die Wachstums- und Inflationserwartungen haben sich sicherlich verschlechtert, zumindest vorübergehend. Aber US-Aktien sind wieder so teuer wie zuvor. "Sell in May and go away?" Oder sollte man zumindest in Unternehmensanleihen umschichten?
Nur Schwarz und Weiß? Vordergründig lässt sich die Marktvolatilität der letzten sechs Wochen mit der rasch schwankenden Rezessionswahrscheinlichkeit in den USA erklären. Trump und sein Truth-Social-Account lieferten die Verkaufs- und Kaufsignale: Als der Präsident die vom Wirtschaftsministerium - angeblich mit einem Algorithmus errechneten - "reziproken" Zölle bekannt gab, schon bald nachlegte und im Falle Chinas noch eins draufsetzte, schien die Rezession sicher. Aktien fielen, und schnell erwogen Anleger, sich aus den USA zurückzuziehen, die den Welthandel zu ruinieren drohten. Risikoabbau hieß die Devise. Viele Aktienmärkte fielen um über 10%.
Doch am 9. April war alles anders. Der Präsident ließ wissen, dass die neuen Zölle erst einmal ausgesetzt würden - und die Märkte schossen in die Höhe. Plötzlich schien eine Rezession wieder sehr viel unwahrscheinlicher. Dann weichte die Trump-Administration ihre Position noch weiter auf. Jetzt rechnen sehr viel weniger Marktbeobachter mit einem Wachstumseinbruch als noch vor vier Wochen (was viel über die Qualität von Prognosen aussagt). Man ist wieder risikobereiter. Seit dem Tief am 8. April haben Aktien um 10% bis 30% zugelegt, und Unternehmensanleihen haben ihre Verluste wieder aufgeholt. Die Spreadausweitung der "Rezessionswoche" ist vollständig ausgeglichen. Die Märkte mochten Trumps "Liberation Day" genauso wenig wie der Präsident die Marktreaktion. Aber er gab sich geschlagen. Zurück auf Los.
Angst oder Gier In den letzten sechs Wochen machten Anleger unterschiedliche Erfahrungen. Wer gar nichts tat, lag meist richtig. Der MSCI World Index ist seit Jahresbeginn um 4% gestiegen, und europäische Aktien haben um 10% bis 20% zugelegt. Mit internationalen Credits hat man fast 4% verdient. Wer aber die an sich rationale Entscheidung getroffen hat, die Aktienquote und vor allem den US-Anteil zu senken, lag angesichts der kräftigen Rallye seit dem 9. April mitunter falsch. Market Timing hat sich nur dann gelohnt, wenn man kurz vor den Zollankündigungen verkauft hat und kurz vor der Aussetzung wieder eingestiegen ist. Sicher war es hilfreich, die Arbeitsweise der Trump-Administration gut zu kennen.
Höhere Zölle, niedrigeres Wachstum Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals derart starke Stimmungswechsel von Marktteilnehmern und Volkswirten erlebt habe. Bei Redaktionsschluss notierten Aktien sogar noch höher als am Vorabend des Liberation Day. Am besten schnitten amerikanische Wachstumswerte ab - der IT-Sektor des S&P 500 legte seit dem 1. April um 13% zu -, gefolgt von "Außenhandelswetten" wie Aktien aus Mexiko, Japan, Indien und Deutschland. Umfassendere US-Indizes, gesamtchinesische Aktien und britische Titel legten während des Zollschauspiels hingegen nur wenig zu. Aber ich kann auch nicht der Einzige sein, der den Weltwirtschaftsausblick jetzt für schlechter hält als zu Jahresbeginn. Stand heute werden die Zölle bald so hoch sein wie schon lange nicht mehr. Das wird nicht ohne Folgen für Außenhandel, Lieferketten und die Planungen der Unternehmen bleiben. Amerikanische Unternehmen, die Konsumgüter für den Verkauf in den USA importieren oder ausländische Vorprodukte beziehen, werden mehr bezahlen müssen. Es fehlt ihnen an der nötigen Sicherheit für die Produktions- und Investitionsplanung, und ihre Gewinnmargen dürften kaum zu halten sein. China mag einen "Sieg" über die USA feiern, weil Trump die Zölle gesenkt hat - aber hoch sind sie noch immer. Das dürfte dem chinesischen Export schaden, vielleicht mit Folgen für Beschäftigung und Produktion und erst recht für die amerikanischen Verbraucherpreise.
Die Ertragsaussichten von Wertpapieren prognostizieren wir anhand von Konjunktur, Bewertungen, Marktstimmung und Markttechnik. Der Konjunkturausblick hat sich zweifellos verschlechtert. Verbessert hat sich nur die Marktstimmung, auch weil Trump Deals im Volumen von "mehreren Billionen Dollar" angekündigt hat. Aber die Marktstimmung ist oft trügerisch. Bei schwächeren Konjunkturdaten könnte sie schnell einbrechen.
Euphorie Auch die Bewertungen sind wieder so hoch wie vorher - und damit alles andere als attraktiv. Der S&P 500 notiert beim 20,4-Fachen der erwarteten 12-Monats-Gewinne, was dem 76. Perzentil der letzten zehn Jahre entspricht. Beim DAX ist es sogar das 90. Perzentil. Unterdessen sind breitere europäische und britische Indizes durchschnittlich, also günstiger bewertet; absolut gesehen liegen ihre KGV etwa 5 bis 10 Prozentpunkte unter den amerikanischen. Günstig sind hingegen Titel aus Brasilien und Mexiko sowie britische Small Caps.
US-Aktien sind wieder sehr teuer geworden. Da der S&P 500 über dem 20-Fachen der Gewinne notiert, beträgt die Gewinnrendite nur 5% bei einer US-Zehnjahresrendite von 4,4%. In Großbritannien beträgt der Abstand 3,6 Prozentpunkte, in Frankreich 3,7. Die Konsens-Gewinnerwartungen für den S&P 500 betragen 260 US-Dollar je Aktie (10% mehr als 2024) sowie 296 US-Dollar bzw. 335 US-Dollar für die nächsten zwei Jahre, über 13% mehr als heute. Seit 2020 beträgt das implizite Gewinnwachstum 13% jährlich, bei einem Vergangenheitsdurchschnitt von nur 7,4% seit 1995. Wer Sympathien für Trumps MAGA-Pläne und seine Methoden hegt, könnte damit rechnen, dass die Sonderstellung der USA anhält und für höhere Erträge sorgt - wenn ausländische Investoren weiterhin an dollardenominierten Anlagen interessiert sind und vielleicht noch aufstocken. Höhere Kapitalzuflüsse in die USA wären die Folge. Die jüngsten Entwicklungen mögen allerdings gewisse Zweifel wecken. Aber vielleicht wird die US-Wirtschaft durch den Verkauf von Halbleitern und Flugzeugen an die Golfstaaten noch einige Jahre wachsen.
Anleihen sind ok Die Anleihenrenditen sind noch immer attraktiv, vor allem bei Credits. Meist liegen sie im 3. Quartil und die Spreads im 2. Quartil der letzten 20 Jahre. Sie sind etwas enger als im Durchschnitt, aber die Renditen sind auch wegen der Geldpolitik etwas höher. Am interessantesten sind sie in den USA und Großbritannien. Beide Märkte dürften von einer Lockerung der Geldpolitik im nächsten Jahr profitieren.
Zwei bis drei Anleiheninvestoren machen sich gewisse Sorgen um die Preisstabilität. Zuletzt waren die Nachrichten aber gut. Im April betrug die amerikanische Verbraucherpreisinflation nur 2,3%, bei einer Kernrate von 2,8%. Fallende Energiepreise haben geholfen, und es gab bislang noch keinerlei Anzeichen dafür, dass die Zölle auf die Endpreise durchschlagen. Die jüngsten Import- und Lagerdaten lassen vermuten, dass US-Unternehmen vor Einführung der Zölle noch kräftig eingekauft haben. Nach wie vor scheint es aber schwierig, die Teuerung auf oder unter 2% zu drücken. In den USA, dem Euroraum und Großbritannien scheint sich die jährliche Inflation auf dem derzeitigen Niveau stabilisiert zu haben, und noch immer droht ein Anstieg aufgrund der Zölle. Da kann es sinnvoll sein, neben höher verzinslichen Anleihen auch einige Linker zu halten, um von einer höheren Inflation und weltweiten Zinssenkungen zu profitieren.
Bewertung und Wertschöpfung Ich glaube, dass sich Investoren und die Weltwirtschaft auf noch mehr Unsicherheit einstellen müssen. Pünktlich zu Warren Buffetts Ruhestand habe ich mir einen der Lieblings-Bewertungsindikatoren des Berkshire-Hathaway-Chefs angesehen - den Quotienten aus Marktkapitalisierung und BIP. Laut LSEG Workspace Datastream beträgt er in den USA etwa 200%, in der Schweiz 216% und in Großbritannien und Frankreich etwa 100%. Auffällig ist, dass der Quotient in den USA kontinuierlich steigt. Noch vor zehn Jahren war er ähnlich hoch wie in Großbritannien. Jetzt ist der US-Markt gemessen am BIP doppelt so wertvoll. Seit der internationalen Finanzkrise gab es bei diesem Indikator nur eine Richtung, abgesehen von einer kurzen Phase während Corona.
Der extreme Anstieg der Aktienbewertungen hat mehrere Gründe: die expansive amerikanische Geld- und Fiskalpolitik, die Finanzierung der Staatsausgaben mit der Notenpresse und das rasche Wachstum des Technologiesektors. Hinzu kommen die enormen Auslandsinvestitionen in den USA. Aber jetzt ist der Markt sehr teuer, und vielleicht hat sich die Wahrnehmung geändert. Weil seit dem Zolldebakel nur wenig Zeit vergangen ist, wissen wir noch nicht, welche Schäden es angerichtet hat. Es gibt aber erste Hinweise darauf, dass es nicht folgenlos war. Also doch "Sell in May?" Vielleicht.
Finale Manchester United steht in der Premier League zwar nur auf Platz 16, bestreitet aber nächste Woche das Europa-League-Finale gegen Tottenham Hotspur, den 17. der englischen Liga. Demnach wären zwei Teams, die fast aus der ersten Liga abgestiegen wären, besser als alle anderen europäischen Mannschaften im Wettbewerb. Dass ich nicht lache. In der höherrangigen Champions League sind keine englischen Clubs mehr vertreten, sondern Mannschaften aus Frankreich und Italien. Für United-Fans ist der Mittwoch die letzte Chance, am Ende einer katastrophalen Saison doch noch etwas Ruhm einzufahren. Wir haben schon viele Pokale gewonnen. Vielleicht tritt Rúben Amorim in die Fußstapfen von Louis van Gaal, José Mourinho und Erik ten Hag und holt am Ende doch noch eine Trophäe, auch wenn er von den Ligaerfolgen zu Zeiten von Sir Alex Ferguson meilenweit entfernt ist. Ein Abend im Mai …